Wir wünschen uns Kandidaten, die neugierig und offen sind, sagt Christiane Schulz. Foto: © Weber Shandwick

"Ein Drittel des Nachwuchses landet rein zufällig bei uns"

Mit der Kampagne „Komm in die Agentur!“ werben bekannte Kommunikationsagenturen um Studierende und Absolvent/innen. Kampagnenverantwortliche Christiane Schulz erklärt warum.

Christiane Schulz ist Präsidentin der Gesellschaft der führenden PR- und Kommunikationsagenturen (GPRA). Sie verantwortet das sogenannte Employer Branding, also die Imagepflege der Agenturen als Arbeitgeber. Hauptberuflich arbeitet die 49-Jährige als Chief Executive Officer Germany von Weber Shandwick, einer international agierenden Full-Service-Agentur. Mit ihr sprach Saskia Eversloh.

WILA Arbeitsmarkt: Im Frühjahr 2017 haben Sie die Pro-Nachwuchs-Kampagne gestartet und bezahlte Praktikumspakete in kombinierbaren Agenturen angeboten. Gehen der Branche die Bewerbungen aus?

Christiane Schulz: Natürlich sind wir auch vom demografischen Wandel und in manchen Bereichen wie der IT von Fachkräftemangel betroffen. Aber das ist nicht der Punkt. Unsere aktuelle Umfrage unter über 1.600 Agentur-Junioren hat gezeigt, dass ein Drittel des Nachwuchses rein zufällig bei uns landet.

Agenturen sind ja als Arbeitgeber kaum bekannt. Über Unternehmen wird berichtet, weil man ihre Marken und Produkte kennt. Und über Start-ups, weil sie als sexy gelten – aber die Namen von Agenturen als Kommunikationsdienstleister fallen kaum. Wir haben die Kampagne in erster Linie ins Leben gerufen, um in das Bewusstsein derjenigen zu rücken, die interessant für uns sind.

Und wer ist interessant für die Agenturen, die Sie vertreten?

Generell brauchen wir Leute, die sich stark für Inhalte interessieren, da gehören Geisteswissenschaftler sicher auch dazu. Sie machen etwa ein Drittel der Agenturmitarbeiter aus. Der Studiengang ist aber nicht entscheidend. Es gibt Leute, die sind sehr strukturiert, die sind gut für das Projektmanagement geeignet.

Oder Leute, die können mit Texten und Sprache umgehen und passen gut in die Redaktion. Andere wieder sind phantasievoll und begabt in Konzeption und Strategie. Als Kundenberater wiederum sind Empathie und psychologisches Geschick gefragt.

Aber wir brauchen zum Beispiel auch Mathematiker, die im Bereich Analytics arbeiten. Oder Natur- und Umweltwissenschaftler, die es in die Nachhaltigkeitskommunikation oder CSR-Beratung zieht. Oder Politologen für Public Affairs, allein in Brüssel haben wir ein Büro mit 60 Mitarbeitern.

Die Vielfalt ist ja das Schöne an der Agentur. Und dabei reden wir jetzt nur von den Bereichen der Kommunikationsdienstleistungen. Aber eine Agentur hat ja auch wie jedes andere Unternehmen eine Geschäftsführung, Personalabteilung, Buchhaltung und Finanzen oder auch Eigen-Marketing. Ich zum Beispiel habe Wirtschaft studiert – und in der Geschäftsführung ist es schon gut, mit Zahlen umgehen zu können.

Sie beraten aber auch Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen, die ja inzwischen alle auf Englisch betitelt werden: Food & Beverage, Beauty & Lifestyle, Mobility & Logistik, Energie und Health Care. Wie wichtig war Ihr Studium?

Ich bin Wirtschaftswissenschaftlerin und habe mich in alle Bereiche neu einarbeiten müssen. Wichtig ist, die entsprechende Neugierde mitzubringen, um alles zu erfragen, und die Bereitschaft, sich auch in sehr komplexe Themen einzuarbeiten. Etwa im Bereich Health Care, wozu Pharma, Medizin und Technologie gehören – insbesondere, wenn man nicht für Endkunden, sondern im Bereich der Fachkommunikation arbeitet.

Nach Ihrem Studium haben Sie bei der Baden-Württembergischen Landesbank gearbeitet. Wie sind Sie von der Bank in die Werbung gekommen?

Wie die Jungfrau zum Kinde: Ich habe als Volkswirtschaftsreferentin gearbeitet. Damals wurde die Kommunikationsabteilung neu aufgestellt und die Chefin sagte: Willst du nicht zu uns kommen, Kommunikation kann ich mir bei dir gut vorstellen. Und so war es auch.

Zwei Jahre später bekam ich einen Anruf von einer Personalberatung: Wollen Sie für Kothes Klewes (heute Ketchum Pleon) arbeiten? Und ich wollte – 15 Jahre lang. Bis ich 2013 zu Weber Shandwick gewechselt bin.

Dass ich in einer Agentur arbeite, ist also auch reiner Zufall. Meine Freunde haben damals gesagt: Wie kannst du nur – da musst du viel arbeiten für wenig Geld! Und ich hatte schon Sorge, die falsche Entscheidung getroffen zu haben.

Wie beurteilen Sie die Aufstiegschancen und das Verhältnis von Männern und Frauen in Agenturen?

In der Summe überwiegen Frauen, das Verhältnis liegt bei zwei Drittel zu einem Drittel. Und in vielen Bereichen würden wir uns freuen, wenn sich mehr Männer zeigen. In der Geschäftsführung sieht es dann schon anders aus. Aber ich beobachte derzeit einen Generationenwechsel; viele der führenden Agenturen haben neuerdings eine Frau an der Spitze, wie etwa bei Edelman, Ketchum Pleon oder Ogily PR.

Generell schätze ich die Aufstiegschancen in Agenturen besser als in Unternehmen ein. Agenturen wollen wachsen und neue Kunden gewinnen – und daraus ergeben sich regelmäßig neue Aufgaben und Verantwortungsbereiche. Das ist in Konzernen schon mal statischer.

Und bei Start-ups herrscht oft so viel Chaos, dass gar keine Strukturen mehr erkennbar sind. Sagen zumindest die „Boomerangs“, die Rückkehrer in die Agentur, die es ja durchaus auch gibt. 

Und dann ist da noch dieser Titelwirrwarr, Sie sind Chief Executive Officer Germany – drei- bis vierteilige Anglizismen scheinen in Mode.

Ja, der Berater als eierlegende Wollmilchsau hat ausgedient. Die Agenturlandschaft und die Aufgaben haben sich stark differenziert – und auch die Hierarchien. Während es in den Werbeagenturen der 80er/90er noch schlichtweg Berater, Grafiker und Texter gab und der Texter es zum Cheftexter bringen konnte, ist die Rangfolge in den großen Kommunikationsagenturen heute beispielsweise im Textbereich wie folgt: Junior Editor – Editor – Senior Editor – Assistent Managing Editor – Managing Editor – Editor in Chief.

In der Kundenberatung wären es im internationalen Vergleich Junior Associate, Associate, Senior Associate, Manager, Senior Manager, Account Director, Associate Director, Director, Managing Director.

Und neben der Aufstiegskarriere gibt es ja auch noch die Weiterentwicklung in anderen Bereichen: So kann ein Editor sich auch zum Copy Writer und Creative Director weiterentwickeln, der nicht nur textet, sondern auch die Kreativstrategie entwickelt. Das ist die in der Branche viel zitierte Jungle Gym, also das Wechseln von Projekt zu Projekt und von Aufgabe zu Aufgabe.

Aber es heißt doch, in Agenturen gibt es keine oder nur flache Hierarchien. Wie passt das zusammen?

Die Level in Agenturen stehen vor allem für den Erfahrungshorizont der jeweiligen Person. Die meisten Agenturen sind heute wie eine Matrix und agil organisiert. Teams werden für die jeweiligen Kundenprojekte spezifisch zusammengestellt und bestehen dann in der Form, bis jeder seine Aufgabe erledigt hat. Generell ist dabei vor allem viel Selbstorganisation gefragt.

Was sind bei all der Vielfalt die Agenturfelder der Zukunft?

Content bleibt King: Redaktionelle Inhalte werden weiter expandieren, vor allem online, und hier wird  das Thema von „Content to Commerce“ stark wachsen, also die Nutzung von Inhalten für die Vermarktung.

Für alle Kommunikationsbereiche wird das Thema Analytics wichtiger. Daten geben Orientierung für die Inhalte und auch Auskunft darüber, ob die Kommunikation erfolgreich war oder nicht.

Wie sehen Ihre Wunschkandidaten aus?

Interessenten müssen vor allem von der Kultur her zu uns passen: Am Ende des Tages zählt es, dass man gerne zusammenarbeitet. Wir wünschen uns Kandidaten, die neugierig und offen sind und Dinge auch mal hinterfragen. 

Agenturen gelten als sehr feierfreudig: Awards, Schampus, Partys – ist das heute noch so?

In Agenturen kommen besonders gesellige und kreative Menschen zusammen. Und ich sag es mal so: Wer viel arbeitet, hat sich auch das Feiern verdient!

Mit über 20 Jahren als Kommunikationsberaterin sind Sie ein echtes Agenturgewächs. Gibt es denn gar nichts, das auch Sie manchmal nervt?

Was mich am meisten nervt, sind die ewigen Vorurteile, denn die Branche ist wesentlich besser als ihr Ruf. Vor allem bietet sie eine vielseitige und hochwertige Ausbildung an, mit der man auch gerne bei anderen Arbeitgebern genommen wird. Und wir wissen heute schon, dass die Generation des Millenniums ihren Arbeitgeber im Laufe des Lebens 14 Mal wechseln wird.

Vielen Dank!

 

Standards zu Trainee- und Volontariatsprogrammen

Die Deutsche Akademie für Public Relations (DAPR) bietet eine Zertifizierung für Volontariats- und Traineeprogramme von Agenturen an. Zu den Standards gehören: 

  • Die Wissensvermittlung muss mindestens 16 Tage (extern und/oder intern) umfassen 
  • Grundlagen Strategie und Konzeptionslehre
  • Medienarbeit/Content Marketing
  • Online-Kommunikation/Social-Media-Kompetenz
  • Textkompetenz (Recherche, Formate, Schreibtraining)
  • Digitalkompetenz (Digital Campaigning, Datenanalyse)
  • verbindlicher Ablaufplan des Ausbildungsprogramms
  • Einblicke in kooperierende Fachbereiche (möglichst auch international) für den Volontär/Trainee
  • Einblicke in den Redaktionsalltag (intern zum Beispiel im Newsroom oder extern zum Beispiel bei einer Tageszeitung)
  • direkter Ansprechpartner (Mentor/in) während der Dauer des Programms für den Volontär/Trainee
  • regelmäßige Feedbackgespräche des Mentors mit dem Volontär/Trainee (mindestens zwei pro Jahr)
  • Nachweise über Lernfortschritte (zum Beispiel über Fachprüfungen) des Volontärs/Trainees
  • mindestens zwölf Monate, maximal 24 Monate Dauer des Programms
  • Mindestdurchschnittsgehalt von 1.800 Euro brutto monatlich (inklusive Lohnbestandteile wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder die Übernahme von Studiengebühren durch den Arbeitgeber)
  • Alle Qualitätskriterien auf einen Blick: www.dapr.de/zertifizierung
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