Arbeiten mit Baby
Eltern-Kind-Büros bieten die Möglichkeit, bereits im ersten Lebensjahr des Kindes ein paar Stunden pro Tag zu arbeiten – während der Nachwuchs schläft oder im Nebenzimmer spielt.
Text: Annika Voßen
Um elf Uhr ist es ruhig geworden im Rockzipfel Bonn. Zu hören ist nur das Klappern der Laptop-Tastaturen. Die drei Erwachsenen arbeiten konzentriert. Ihr Nachwuchs ist gerade in der Bauchtrage und im Kinderwagen eingeschlafen – erschöpft vom gemeinsamen Spielen. Jetzt gilt es, die Zeit gut zu nutzen.
Katrin Kayser korrigiert an dem langen Holztisch gerade ihre Doktorarbeit im Fach Humangenetik. „Ich wollte meine Doktorarbeit eigentlich schon vor Vincents Geburt abgeben. Dann hat sich aber alles verzögert“, erzählt die 32-Jährige. Seit Januar kommt sie mit ihrem inzwischen fünf Monate alten Sohn her. „Hier herrscht eine Arbeitsatmosphäre wie in der Bibliothek. Zu Hause bin ich längst nicht so effektiv.“
Zwei bis drei Stunden Arbeit schafft sie pro Vormittag im Rockzipfel. „Je mehr Leute da sind, desto mehr kann man arbeiten und desto einfacher wird die Betreuung.“ Anfangs fand sie die Geräuschkulisse für ihren Sohn allerdings schon enorm. „Die Kinder haben auf jeden Falls eine intensive gemeinsame Spielzeit, danach sind sie dann aber auch platt“, hat Katrin Kayser beobachtet und ergänzt schmunzelnd: „Inzwischen scheint sich Vincent alleine zu Hause schon manchmal zu langweilen.“
Das Bonner Eltern-Kind-Büro gibt es seit April 2016. Dienstag- und Mittwochvormittag bietet es Eltern mit Kindern unter einem Jahr die Möglichkeit, ein wenig zu arbeiten, während die Kleinen im Nebenzimmer ersten Kontakt zu Gleichaltrigen aufnehmen und sich schon langsam daran gewöhnen, dass nicht immer nur Mama oder Papa auf sie aufpassen.
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Die Betreuung übernehmen die Eltern im Wechsel – wie, entscheidet die Gruppe von Mal zu Mal, je nachdem, wie das eigene Kind gerade gelaunt ist oder ob eine dringende Deadline bei den Erwachsenen ansteht. Das Coworking-Angebot kostet 70 Euro pro Monat für Raummiete, Internet und Kaffee. Genutzt wird es vor allem von jungen Akademiker/innen, die ihre Dissertation beenden, sich wieder bewerben oder während ihrer Auszeit auf dem Laufenden bleiben möchten. Teil des Rockzipfel-Konzepts ist auch der Austausch zu Alltagsfragen, die alle Eltern von Säuglingen anfangs umtreiben.
Die Betreuungslücke schließen
„Wir wollten für die Kinder unter einem Jahr eine Betreuungslücke schließen“, erzählt Svenja Mordhorst, eine der beiden Initiatorinnen. Sie und ihre Mitstreiterin Constanze Falke hätten den Rockzipfel „aus Eigennutz“ gegründet. „Ich wollte mit meiner Doktorarbeit vorankommen. Ich habe schließlich ein Stipendium, das genutzt werden muss“, erläutert die 30-Jährige, die im Fach Kunstwissenschaft promoviert.
Die beiden Mütter stießen bei ihrer Recherche auf das Konzept Coworking mit Kind, bei dem die Eltern arbeiten und die Babys abwechselnd betreuen. Die Rockzipfel-Idee, ursprünglich aus Leipzig, wurde zuvor bereits von gemeinnützigen Initiativen in Dresden, Hamburg und München übernommen, wobei jedes Eltern-Kind-Büro ein wenig anders funktioniert. Inzwischen gibt es auch kommerzielle Coworking-Anbieter, die eine professionelle Kinderbetreuung anbieten, etwa in Frankfurt, Berlin oder Hannover.
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Knackpunkt beim Bonner Rockzipfel, den die beiden Initiatorinnen nebenbei betreuen, ist es, immer wieder von Neuem junge Eltern zu erreichen. „Weil unser Angebot aufgrund der begrenzten Räumlichkeiten ja nur für Kinder bis zu einem Jahr gilt, haben wir eine ziemlich hohe Fluktuation. Im Schnitt sind die Leute fünf bis sechs Monate hier“, erklärt Svenja Mordhorst.
Dann kommen die Kinder in die Kita oder zur Tagesmutter. Bisher waren maximal acht Eltern pro Monat angemeldet, auch wenn nie alle gleichzeitig da sind, weil immer mal jemand krank oder im Urlaub ist. „Auch wenn wir selbst das Angebot nicht mehr brauchen, ist es uns doch wichtig, dass es so etwas gibt in Bonn und dass es auch bezahlbar ist – viele Mitglieder studieren oder promovieren noch“, sagt die Gründerin.
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Ihr Sohn Matti geht mit eineinhalb Jahren inzwischen zur Großtagespflege. Sie erinnert sich aber noch gut daran, wie sie anfangs im Rockzipfel immer aufgesprungen ist, sobald sie ihr Baby weinen gehört hat. „Man muss lernen abzuschalten und den Eltern, die gerade die Betreuung übernehmen, eine Chance geben, das Kind zu beruhigen. Manchmal reicht es ja, die Kleinen auf den Arm zu nehmen und ein wenig herumzutragen.“