Als Arbeiterkind in die Uni - und von dort in den Job
Vorträge, Aktionstage, Mentoring: Die Organisation Arbeiterkind.de unterstützt junge Menschen aus Nicht-Akademiker-Familien. Foto: Carolin Mieckley

Als Arbeiterkind in die Uni - und von dort in den Job

Wie finanziere ich mein Studium? Solche Fragen halten Arbeiterkinder oft davon ab, zur Uni zu gehen. Hilfe bekommen sie von der Organisation ArbeiterKind.de, die auch beim Berufseinstieg unterstützt.

Text: Jasmin Welker 

Parallel zu ihrem Studium hat Silke Tölle-Pusch immer gearbeitet - auch weil sie jobben musste, um sich ihr Studium zu finanzieren. An der Uni Bonn studierte sie Kulturanthropologie, Geschichte und Anglistik. Und im Geschichtsmuseum hatte sie eine Stelle, die ihr nicht nur Geld gebracht, sondern auch viel Spaß gemacht hat. 

Durch den Nebenjob zog sich ihr Studium etwas in die Länge. Gerne wäre sie für ein Semester ins Ausland gegangen, doch danach wäre wohl ihre Stelle weg gewesen. Trotz alledem hat es Silke Tölle-Pusch nie bereut, sich für die Uni entschieden zu haben.

Eine Freundin brachte sie auf die Idee zu studieren

Selbstverständlich war der Weg ins Studium für sie nicht: Weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten eine akademische Ausbildung durchlaufen, ebenso niemand zuvor in der Familie. Eine Freundin hatte sie kurz vor dem Abi auf die Idee gebracht zu studieren.

Heute ist die 35-Jährige Projektmanagerin für Kommunikation und Kooperationen bei ArbeiterKind.de. Ihren Lebensweg erzählt sie gerne. Denn genau mit solchen Geschichten will die Organisation ArbeiterKind.de Schülerinnen und Schülern Mut machen, ein Studium anzufangen. Bei Vorträgen in Schulen berichten die ehrenamtlichen Mitarbeiter von ArbeiterKind.de über ihre eigene Bildungsbiographie, geben aber auch ganz praktische Hinweise zu Stipendienmöglichkeiten und anderen Fördermöglichkeiten. 

"Viele Fragen kreisen um die Finanzierung" 

„Viele Fragen von Schülerinnen und Schülern aus Nichtakademiker-Familien kreisen um das Thema Finanzierung. Wie sie ein mögliches Studium finanziell gestemmt bekommen, entscheidet für viele, ob sie sich dafür oder dagegen entscheiden“, sagt Silke Tölle-Pusch. ArbeiterKind.de möchte einen möglichst niederschwelligen Ansatz bieten. Denn oftmals sind es ganz einfache Fragen über Abläufe an Hochschulen, die Jugendliche aus Nichtakademiker-Familien haben. Nur können sie eben nicht mal schnell Verwandte fragen, erklärt die Projektmanagerin. Es fehlt schlichtweg das Netzwerk.

Und gerade dieses Netzwerk hält ArbeiterKind.de bereit. Bundesweit engagieren sich rund 6 000 Ehrenamtliche in 75 lokalen Gruppen. In einigen Regionen Deutschlands, wie zum Beispiel in NRW, ist das Netzwerk dichter, in anderen befindet es sich noch im Aufbau. Die Organisation finanziert sich unter anderem durch Mittel von Bildungsministerien, Stiftungen und private Spenden.

Die Ehrenamtlichen setzen sich ganz divers zusammen: alle Altersgruppen sind vertreten und auch alle Studienrichtungen und Branchen. So bringen sich Geistes- und Sozialwissenschaftler, Naturwissenschaftler und Ingenieure in das Netzwerk ein.

Hürden beim Berufseinstieg

„Ein Netzwerk ist aber nicht nur für den Weg ins Studium, sondern auch für den Sprung danach ins Berufsleben enorm wichtig“, meint Silke Tölle-Pusch. Da die Organisation immer wieder Anfragen bekommen hat, wie es denn nach dem Studium weitergeht, unterstützt ArbeiterKind.de seit einiger Zeit auch Studentinnen und Studenten aus nicht-akademischen Familien beim Berufseinstieg. Denn auch hierbei ist vieles für studierte Erstakademikerkinder eben doch nicht so selbstverständlich wie es vielleicht für Personen mit Akademiker-Eltern ist.

Silke Tölle-Pusch weiß das wiederum aus eigener Erfahrung. Nach ihrem Studium hatte sie überlegt, in einem Freilichtmuseum zu arbeiten. Zu ihrem kulturwissenschaftlichen Hintergrund hätte das gut gepasst. Doch solche Museen liegen oftmals außerhalb der Stadt. Ein Auto hätte hergemusst. Auch hier zeigte sich die Frage nach der Finanzierung wieder. Der entscheidende Tipp kam wieder von einer Freundin. Sie machte sie auf ein Stellenangebot beim Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Bonn aufmerksam.

Der Respekt vor Medizin und Jura ist groß

„Wenn Nichtakademiker-Kinder neben dem Studium jobben müssen, haben sie oftmals auch gar keine Zeit, Praktika zu machen, die ihnen jedoch eventuell Kontakte für den Berufseinstieg bringen würden“, schildert Silke Tölle-Pusch ein weiteres Problem. Einige Erstakademiker würden auch vor als eher elitär geltenden Unternehmen und Berufen zurückschrecken.

So sei beispielsweise der Respekt vor dem medizinischen und juristischen Bereich groß. „Da kann es helfen, wenn man ganz unverbindlich mit jemandem über Einstiegswege sprechen und eben Kontakt in die Branche knüpfen kann.“

Von der Uni in den Job

ArbeiterKind.de bietet hier ein spezielles Mentoring an, das dem Mentoring-Projekt von WILA Arbeitsmarkt ähnelt. Wie oft man sich trifft, ob der Kontakt nur per Mail oder bei einem Kaffee stattfindet und über was gesprochen wird, entscheiden Mentor/in und Mentee gemeinsam. Das Matching und der erste Kontakt läuft über eine eigene Netzwerkseite auf www.arbeitkind.de.

Erstmals dieses Jahr hat die Organisation auch einen kostenlosen Berufseinstiegstag angeboten. In Essen hatten Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen, insbesondere aus nicht-akademischen Familien, die Gelegenheit mit Berufserfahrenen unterschiedlicher Branchen ins Gespräch zu kommen. Außerdem gab es Workshops, beispielsweise zum Thema, wie man Bewerbungen schreibt. „Der wichtigste Tipp, der bei der Veranstaltung gegeben wurde, ist, sich Netzwerke aufbauen. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen“, sagt Silke Tölle-Pusch.

Die ArbeiterKind.de-Projektmanagerin sieht die Aufgabe der Organisation darin, Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern aus nicht-akademischen Familien Mut zu machen, sich auch beruflich etwas zu trauen. „Manchen Kindern aus Nichtakademiker-Familien fällt das selbstbewusste Auftreten in Bewerbungsgesprächen schwerer als Akademiker-Kindern.“ Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zeigt auch, dass Arbeiterkinder öfter unter ihrem Wert beschäftigt sind als Hochschulabsolventinnen mit Akademiker-Eltern (siehe Infokasten).

Wissen über berufliche Möglichkeiten

Auch wenn Uni-Absolventen mit akademischen Eltern sich nicht immer auf deren Unterstützung bei der Stellensuche verlassen können, fehle Studierenden der ersten Generation dieser Rückhalt nochmal mehr. Ihre Eltern haben oft weniger Wissen über berufliche Möglichkeiten der studierten Kinder. „Davon abgesehen, beschäftigen natürlich auch studierte Arbeiterkinder ähnliche Fragen zum Berufseinstieg wie ihre Kommilitonen.“ Auch nächstes Jahr will ArbeiterKind.de wieder eine Veranstaltung für den Berufseinstieg durchführen.

Nach ihren Wünschen für die Organisation gefragt, muss Silke Tülle-Pusch erst einmal lachen. Natürlich wäre es schön, wenn es ArbeiterKind.de nicht mehr bräuchte und alle Hürden beseitigt wären, die Arbeiterkinder an einem Studium hindern. Doch ganz konkret hat sie einen anderen Wunsch: „Wir sind auf die Arbeit der Ehrenamtlichen angewiesen und freuen uns immer, wenn sich noch mehr Arbeiterkinder bei uns engagieren und ihre Geschichte erzählen.“

Mehr Infos: www.arbeiterkind.de

  • Analyse: Studiert und für den Job überqualifiziert
  • Als Geografin nach abgeschlossenem Studium Briefe austragen oder als Germanist hauptberuflich Taxis fahren: Eine Studie ergab, dass Hochschulabsolventen aus Arbeiterfamilien häufiger als ihre ehemaligen Studienkollegen mit akademischen Familienhintergrund solchen und ähnlichen Berufen nachgehen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Für die Arbeitsmarkt-Analyse wertete Daniel Erdsiek vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim die Angaben von 3 700 Hochschulabsolventinnen und -absolventen eines Examensjahrgangs aus, die ein Jahr nach ihrem Abschluss befragt wurden. Knapp jeder fünfte Teilnehmer der Umfrage gab an, dass für seine ergriffene berufliche Tätigkeit kein Studium Voraussetzung sei. Während es bei Absolventen mit mindestens einem studierten Elternteil nur 16,1 Prozent waren, waren es bei Personen, deren Eltern keinen Hochschulabschluss hatten, 23,5 Prozent.
  • Dieser Unterschied lasse sich laut dem Arbeitsmarktforscher unter anderem durch die Wahl des Studienfachs erklären. Die Wahrscheinlichkeit, unter der eigenen Qualifikation zu arbeiten, ist bei Absolventinnen und Absolventen juristischer und medizinischer Studiengänge geringer als bei Sozial- und Kulturwissenschaften. Kinder aus Arbeiterfamilien wagen sich weniger häufig an solche als elitärer geltende Fächer als Personen mit Akademiker-Eltern. Hinzu kommt, dass sich der Akademikernachwuchs im Gegensatz zu den Arbeiterkindern deutlich häufiger für ein Studium an einer Universität statt an einer Fachhochschule entscheidet.
  • Auch wenn nicht durch die Studie belegbar, hält Erdsiek zwei weitere Erklärungen der Diskrepanz für möglich: In Akademikerfamilien dürfte mehr Wissen über die Funktionsweisen des Arbeitsmarktes für Fachkräfte mit Hochschulabschluss vorhanden sein. Zudem sei denkbar, dass Unternehmen Bewerberinnen und Bewerber „aus gutem Haus“ gegenüber studierten Arbeiterkindern bevorzugen.
  • Studie online unter: http://tinyurl.com/arbeiterkinder
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