Waldorfschulen: 600 Lehrer jährlich gesucht
Warten auf die Lehrer: Viele Waldorfschulen suchen pädagogische Fachkräfte (Foto: © Dmitry Vereshchagin/Fotolia).

Waldorfschulen: 600 Lehrer jährlich gesucht

Viele Waldorfschulen schreiben Stellen aus. Gefragt sind auch Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler, die durch ein weiterführendes Masterstudium in die Waldorfpädagogik einsteigen.

Waldorfpaedagogik-Schieren-InterviewProf. Dr. Jost Schieren ist Leiter des Fachbereichs Bildungswissenschaft an der Alanus Hochschule in Alfter bei Bonn, in der auch der Studiengang Waldorfpädagogik angeboten wird. Über die Inhalte der Ausbildung und die Jobaussichten sprach mit ihm Annika Voßen. 

Wila Arbeitsmarkt: Herr Prof. Dr. Schieren, was sind die zentralen Merkmale der Waldorfschule?
Prof. Dr. Jost Schieren: Die Waldorfschule ist eine Privatschule, die eine Alternative zum Regelschulsystem darstellt. Zentrale Merkmale sind: Kein Notendruck, kein Sitzenbleiben, lange Klassenzugehörigkeit sowie künstlerisch-handwerkliche Fächer.
 
Wie kann man Waldorfpädagoge werden?
Es gibt verschiedene Wege. Zum einen gibt es die Vollzeit-Ausbildung Waldorflehrer/in – Bachelor plus Master. Zum anderen gibt es auch weiterführende Master-Studiengänge für diejenigen, die schon ein Fach- oder Lehramtsstudium in einem unterrichtsrelevanten Fach abgeschlossen haben. Hier an der Alanus Hochschule wird der Masterstudiengang Waldorfpädagogik in Teilzeit angeboten.
 
Was sollte ich mitbringen neben Fachwissen aus dem Erststudium?
Letztlich die Bereitschaft und Freude, mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten zu wollen. Zu uns kommen in der Regel Menschen mit einer gewissen Lebensreife, die sich darauf freuen, anderen etwas beibringen zu können.
 
Wie ist das Teilzeit-Studium an der Alanus Hochschule angelegt? Was ist das Besondere?
Wir verorten die Waldorfpädagogik im erziehungswissenschaftlichen Kontext. Wir wollen hier keine reine Waldorf-Binnenwelt vermitteln, sondern einen Dialog mit den Erziehungswissenschaften ermöglichen. Unser Schwerpunkt liegt natürlich auf der Didaktik der Waldorfpädagogik, der Wissensvermittlung abhängig von Alter und Fach. Hinzu kommt das Studium Generale, bei dem es um Philosophie- und Kulturgeschichte geht, um Wissenstheorie, Ethik, Sinnverortung.
 

Angeboten werden aber auch künstlerische Aktivitäten, schließlich geht es in der Waldorfpädagogik um Erziehungskunst. Improvisations-Theater, die Arbeit mit Stimme und Körperhaltung, Bewegungserfahrungen und plastisches Gestalten beispielsweise dienen der Qualifikation der angehenden Lehrer/innen. Sie sollen mit situativer Handlungsfähigkeit, Planungsoffenheit und Mut in den Unterricht gehen.

Muss man Anthroposoph werden, um an einer Waldorfschule unterrichten zu können?
Nein. Die Studierenden sollen lernen, was hinter dem Konzept steht, um was für ein Menschenbild es geht. Letztendlich handelt es sich aber um einen Theorieentwurf, der sich in der Praxis bewähren muss. Jeder Lehrer muss selbst entscheiden, inwieweit er diesen anwendet.
 
Teil des Studiums ist es auch, die Sicht von außen auf die Waldorfpädagogik zu vermitteln. Was sind die Kritikpunkte gegenüber der Waldorfpädagogik?
Die Kritik seit den 1980er Jahren entzündet sich an der Anthroposophie: Der Vorwurf lautet, dass Waldorfschulen eine Weltanschauung vermitteln wollen. Dieser Vorwurf ist durch empirische Studien inzwischen aber weitgehend entkräftet. Hauptkritik ist inzwischen: Die Waldorfschule sei eine Klientelschule, eine Schule für Kinder reicher Eltern. Das ist tatsächlich eine nicht ganz unberechtigte Kritik.
 

Allerdings ist das ein hausgemachtes Problem in Deutschland, weil die Waldorfschulen schlechter vom Staat refinanziert werden als Regelschulen – daher brauchen sie Elterngelder. Die Waldorfschule wurde eigentlich als Schule für alle Kinder gegründet. In Ländern wie Brasilien, Südafrika oder in Skandinavien ist sie das auch. Inzwischen gibt es in Deutschland aber auch Brennpunktschulen wie die Interkulturelle Schule in Mannheim.

Folgt auf das Studium ein Referendariat?
Nein, das ist nicht notwendig. In Nordrhein-Westfalen und auch in Bayern – und das sind die beiden Länder mit den höchsten Standards bei den Lehrergenehmigungen – gibt es den Weg, dass die Masterabsolventen eine zwei- bis dreijährige befristete Lehrgenehmigung an einer Waldorfschule erhalten.
 

Während dieser Zeit durchlaufen sie ein Mentorenprogramm. Anschließend findet eine Prüfung durch die jeweilige Bezirksregierung statt, die vergleichbar ist mit dem zweiten Staatsexamen. Ich rate meinen Studierenden, sich schon während des Studiums an einer Waldorfschule zu bewerben und dort zu arbeiten – so lassen sich Theorie und Praxis verknüpfen. Rund 50 Prozent machen das auch.

Die Schulen machen das mit?
Die Schulen müssen unsere Studierenden zwar für die Kurse freistellen, aber das machen sie gerne, denn der Lehrerbedarf ist immens. Gerade werden 600 Lehrer/innen jährlich an den Waldorfschulen gesucht. Grund ist der derzeitige Generationswechsel. Das wird sicher noch vier bis fünf Jahre so bleiben.
 

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