Grüne Start-ups: Ganz vorne dabei
Grünes Berlin: In aquaponischen Farmen baut das Startup ECF Farmsystems ressourcenschonend Gemüse an. / Foto: ECF Farmsystems

Grüne Start-ups: Ganz vorne dabei

Etablierte Arbeitgeber wie Naturstrom oder Veolia kennt jeder – Start-ups wie Radbonus, ECF Farmsystems oder agrilution dagegen nur die wenigsten. Wie komme ich an einen Job in einem grünen Start-up? Und vor allem: Ist das etwas für mich?

Text: Jasmin Welker 

15 Gesichter und ein Hund lächeln einem von der Webseite von Radbonus entgegen. „Unser wundervolles Team“ haben die Radbonus-Gründer Nora Grazzini und Christoph Lippert die Fotogalerie betitelt. Eigentlich nicht besonders bemerkenswert, mag man auf den ersten Blick denken: ein Unternehmen mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und „Feel Good Manager“-Hund Lupita. Doch Radbonus wurde erst Mitte 2015 gegründet. Von null auf 15 Mitarbeiter in einem Jahr kann einen dann doch ins Staunen versetzen.

„Bei uns melden sich oft Leute, die mitarbeiten wollen“, sagt Gründer Christoph Lippert. Viele im Radbonus-Team studieren noch. Eine Vollzeitstelle haben neben den Gründern nur zwei Personen. „Wir wollen auf jeden Fall mehr Leute fest einstellen, aber das hängt natürlich vom Geld ab“, beschreibt der 49-Jährige die Situation bei Radbonus.

Das Start-up aus Köln entwickelt ein Belohnungssystem fürs Radfahren. Mit einer App werden gefahrene Kilometer aufgezeichnet. Wer viel fährt, bekommt von Radbonus-Partnern wie Krankenkassen, Arbeitgebern oder Bike-Shops Belohnungen. Noch ist das Ganze in der Beta-Phase. Doch ihr Ziel haben Nora Grazzini, Christoph Lippert und das Team immer vor Augen: Sie wollen durch ihre App die Kohlenstoffdioxid-Belastung in Deutschland reduzieren, den Verkehr in Städten entlasten und die Gesundheit der Radler fördern.

Kleine Unternehmen, großer Arbeitsmarkt?

Radbonus ist eines von geschätzten 800 bis 1.000 grünen Start-ups in Deutschland. Von dieser Zahl geht zumindest der Bundesverband Deutsche Startups (BVDS) aus. „Es gibt jedoch weitaus mehr grüne Gründungen als grüne Start-ups“, erklärt Sascha Schubert, stellvertretender Vorsitzender des eingetragenen Vereins (siehe auch Interview), und zitiert eine Studie des Borderstep Instituts.

Demnach wurden 2014 – so die aktuellsten Zahlen – 21.498 Betriebe im Bereich Green Economy gegründet. Laut Definition des BVDS sind Start-ups junge, innovative Unternehmen, die sich noch in der Phase der Entwicklung eines Geschäftsmodells befinden. Demnach könne ein Start-up zwei oder auch neun Jahre alt sein. Sascha Schubert vergleicht das so: „Es ist wie mit Kindern: Manche fangen schon mit zwölf Monaten zu laufen an, manche erst mit 14 Monaten.“ 

Ähnlich wie mit dem Übergang vom Start-up zum „richtigen“ Unternehmen verhält es sich auch mit der Mitarbeiterzahl: Manche Start-ups haben nach zwei Jahren erst zwei Mitarbeiter, manche schon 200. Der Deutsche Startup-Monitor des BVDS hat 2015 ermittelt, dass ein Start-up durchschnittlich nach 2,8 Jahren 17,6 Arbeitsplätze (inklusive der Gründer/innen) schafft. Die Tendenz ist steigend: 2014 waren es nur 16,8 Stellen. Allerdings planten Gründer in den nächsten zwölf Monaten weniger Mitarbeiter/innen einzustellen: Im Vorjahr rechneten sie noch mit zehn Neueinstellungen, 2015 mit 8,3.

Während Start-ups in der Phase der Konzeptionsentwicklung durchschnittlich 2,5 Mitarbeiter beschäftigen, sind es in der Entwicklungsphase 5,5 und in der Umsatz-Wachstumsphase 33,2.

„Für mich ist die Befristung und kleines Geld okay“

Sarah Greb kam Ende Mai 2016 zu Radbonus. „Ich habe ein Unternehmen gesucht, in das ich mich einbringen kann und eben nicht nur mitarbeite“, sagt die 30-Jährige. Die gelernte Bürokauffrau hatte zuvor schon in etablierten Unternehmen gearbeitet. Auf Radbonus wurde sie durch eine Stellenanzeige im Internet aufmerksam.

Wenn man ihr zuhört, scheint sie einer der Menschen zu sein, die stets gute Laune haben, aber gleichzeitig reflektiert sind. „Für mich ist es okay, dass ich erst einmal auf ein Jahr befristet angestellt bin. Auch dass ich nicht so viel verdiene wie anderswo, passt für mich. Ich komme auch mit kleinem Geld aus.“ Neben ihrer Arbeit bei Radbonus macht sie eine Ausbildung zur Tierheilpraktikerin.

Explizit nach einem Job bei einem Start-up hatte sie nicht gesucht. Eigentlich wollte sie auch gar keinen „richtigen“ Job, sondern nur ein Praktikum. So war es Zufall, dass sie zu Radbonus kam. Zuerst hat sie ausgeholfen und für Radbonus als angemeldete Gewerbetreibende beispielsweise Rechnungen geschrieben. „Es hat einfach gut gepasst zwischen den beiden Gründern und mir.“ So wurde sie nach sehr kurzer Zeit zur Projektmanagerin und Assistentin der Geschäftsführung. Sie kümmert sich unter anderem um die Verteilung von Aufgaben im Team und um die Definition von Prozessen.

Wenn sie über ihren Job erzählt, kommt Sarah Greb fast ins Schwärmen: „Es ist unglaublich spannend, bei dem ganzen Chaos dabei zu sein. Ich mag es, dass offen mit allem umgegangen wird und es keine Hierarchien gibt.“ Besonders zu schätzen weiß sie, dass sie ein sehr breit gefächertes Aufgabengebiet hat. „Ich lerne hier wirklich viel.“ Nur eines ist für sie schwer: „Es belastet mich schon emotional ein wenig, wenn Leute aus dem Team wechseln.“ Da viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter studentische Aushilfskräfte beziehungsweise Praktikanten sind, kommt es häufiger vor, dass manche gehen und andere kommen.

Die Sache mit dem Vertrag

„Ob es bei Start-ups mehr Fluktuation unter den Mitarbeitern gibt, haben wir noch nie gefragt“, gibt Sascha Schubert vom BVDS zu. Er geht jedoch davon aus, dass die Zahl nicht unbedingt höher ist als in etablierten Unternehmen in derselben Altersklientel. Viele der Mitarbeiter in Start-ups sind jünger, erklärt der stellvertretende Vorsitzende, kommen direkt von der Uni und würden nach einer gewissen Zeit eine Stelle irgendwo anders suchen.

„Die Fluktuation liegt nicht an besonders harten Arbeitsverträgen“, meint Sacha Schubert. Vielmehr würden sich Start-ups bemühen, unbefristete Verträge anzubieten. „Es hat sich viel verändert bei Start-ups. Sie müssen heute kompetitiv sein, wenn es um Fachkräfte geht.“ Dadurch würden bei Start-ups auch nicht viele an Überstunden anfallen – wie oft der Vorwurf ist. „Bei Start-ups wird nicht per se 100 Stunden in der Woche gearbeitet. Bei den meisten geht um 19 Uhr das Licht aus.“

Gängig sind bei einigen Start-ups mittlerweile Unternehmensbeteiligungen für die Beschäftigten. Die Mitarbeiter bekommen im Falle eines Verkaufs einen finanziellen Anteil an der jeweiligen Verkaufssumme. Im Gegensatz zu den Unternehmensbeteiligungen warnt Sascha Schubert allerdings davor, Verträge mit Gewinnbeteiligungen zu unterschreiben. „Normalerweise machen Start-ups keine Gewinne.“ 

Nur bewerben!

Christoph Lippert, Mitgründer von Radbonus, weiß, dass die Verträge, die Start-ups bieten können, teilweise nicht mit denen von etablierten Unternehmen mithalten können: „Viel hängt bei uns einfach davon ab, wie erfolgreich unser Unternehmen ist.“ Dafür wirbt er mit dem persönlichen und netten Arbeitsumfeld und der Möglichkeit, viel im Job zu lernen. Dazu kommt: „Ich frag Bewerber nicht lange nach Referenzen. Wer Engagement mitbringt, hat auch eine Chance, wenn er länger arbeitslos war oder das Studium abgebrochen hat.“ Der fachliche Hintergrund sei nicht so wichtig.

Einen formellen Bewerbungsprozess gibt es bei Radbonus nicht. Christoph Lippert ist ein kurzer Lebenslauf auf einer Seite lieber als ein sehr ausführlicher. „Ich kann die Leute nur ermutigen einfach anzurufen. Wenn man sich erst einmal kennengelernt hat, merkt man relativ schnell, ob es passt.“

Persönlichkeit und Herzblut

Auch bei agrilution läuft das Bewerbungsprozedere ganz unkompliziert ab, wie Mitgründer Maximilian Loessl erzählt. Das Bewerbungsgespräch führt er oft über Skype. Darauf folgen das persönliche Kennenlernen und – wenn es passt – eine Probezeit von zwei Monaten. „Leider hat es in der Vergangenheit bei potenziellen Mitarbeitern oft nicht gepasst“, berichtet der 27-Jährige Unternehmensgründer. Besonders wichtig für ihn sei, dass sich neue Köpfe ins Team gut integrieren.

Das Team von agrilution besteht momentan aus den zwei Gründern Maximilian Loessl und Philipp Wagner sowie drei Mitarbeitern. Zusammen arbeiten sie an der Entwicklung des plantCube, einem vertikalen Gewächshaus für zuhause. Versteckt ist das Gewächshaus in einem Gerät, das ein wenig wie ein Kühlschrank aussieht. Doch hinter ihrem Produkt steckt mehr, nämlich die Vision einer nachhaltigen und gesunden Ernährung der Weltbevölkerung. Im Gegensatz zur herkömmlichen Lebensmittelindustrie verbraucht das Gemüse im plantCube weniger Wasser. Außerdem ist die Kohlenstoffdioxidbelastung dank entfallender Transportwege geringer. 

Gegen Ende des Jahres will agrilution drei neue Leute einstellen: zwei Informationstechnologen und eine Person, die aus dem Bereich Pflanzenwissenschaft stammt. Maximilian Loessl selbst hat International Agribusiness studiert, Mitgründer Philipp Wagner kommt aus dem Wirtschaftsbereich.Oft stellen Gründer Menschen mit unterschiedlichem Profil ein, deren Fähigkeiten sich ergänzen, berichtet Sascha Schubert vom BVDS. Je mehr sich ein Start-up entwickelt, desto mehr werden Fachkräfte auf den einzelnen Positionen wie Vertrieb, IT und Buchhaltung gebraucht. „Letztlich müssen, wie in einem normalen Unternehmen, alle Schlüsselpositionen besetzt werden.“ Gerade am Anfang gab es bei agrilution Fluktuation bei den Beschäftigten. Nach der Gründung im April 2013 wurden einige Aufgaben zunächst nur von Freelancern erledigt. „Wir haben gemerkt, dass wir die Positionen nicht mehr brauchen“, erklärt Maximilian Loessl. 

Die bisherigen Stellen bei agrilution wurden auf ganz unterschiedliche Weise besetzt: Einer der Mitarbeiter kam über den Freundeskreis der Gründer, einen kannten sie aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt, und einer hat sich initiativ bei dem jungen Münchner Unternehmen beworben.

„Wer bei uns arbeiten will, sollte auf jeden Fall selbstständig sein. Wir stehen nicht da und verteilen Aufgaben. Außerdem muss man flexibel sein, da es ständig neue Aufgaben gibt.“ Gearbeitet wird in interdisziplinären Teams. Es kann sein, dass man eigentlich für das Thema Pflanzen verantwortlich ist, aber doch mal Social Media mitbetreuen muss. Da agrilution international tätig ist, sollten Bewerberinnen und Bewerber fließend Englisch sprechen. „Ganz wichtig ist natürlich darüber hinaus, dass man für Vertical Farming und unsere Sache brennt.“

Dafür bietet agrilution seinen Mitarbeitern beispielsweise flexible Arbeitszeiten. Wer möchte, kann auch erst um elf Uhr anfangen. Attraktiv ist agrilution laut Maximilian Loessl auch wegen dem jungen, dynamischen Team und die Verantwortung, die man übernehmen kann. Er ist sich sicher, dass sich die Erfahrung, die man in einem Start-up macht, später auszahlt: „Es bringt einem auf jeden Fall etwas auf dem Arbeitsmarkt, wenn man in einem Start-up gearbeitet hat.“

Nach dem Start-up 

Sascha Schubert vom BVDS schätzt die Aussichten, nach einem Job bei einem Start-up eine Stelle im Anschluss zu finden, ebenfalls als gut ein. Speziell, wer in derselben Branche bleiben will, hätte gute Chancen, da die Unternehmen ihre jungen „Herausforderer“ kennen. „Ich denke, es gibt nichts Besseres für etablierte Betriebe, als sich die Pioniere der Branche ins eigene Unternehmen zu holen. Schließlich arbeiten bei Start-ups Leute an Themen der Zukunft, mit denen sich viele etablierte Unternehmen nicht so gut auskennen.“

Viele ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Start-ups gründen auch selbst. Das sei durchaus ein gängiger Weg, sagt Sacha Schubert. Ihm fallen viele Beispiele ein, in denen Beschäftigte zu Gründern wurden.

Eine Frage des Fachwissens

Christian Echternacht hat schon mehrere Start-ups gegründet. Sein jüngstes Projekt ist die ECF Farmsystems GmbH. Zusammen mit Nicolas Leschke hat er 2013 begonnen, das Start-up für „aquaponische“ Farmen in Berlin aufzubauen. Die Idee dahinter: Gemüse, Früchte, Kräuter und Fisch werden gemeinsam auf einer Farm produziert. Das spart Wasser, schont Ressourcen und ist dadurch umwelt- und klimafreundlich. Eine Pilotfarm betreibt das Start-up mitten in der deutschen Hauptstadt. Weitere Farmen sind schon gebaut beziehungsweise in Planung.

Nach der Mitarbeiterzahl gefragt, muss Christian Echternacht erst einmal überlegen. Beim Nachzählen kommt er auf elf feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die meisten davon haben studiert. „Für manche Bereiche ist es wichtig, dass die Mitarbeiter neben dem Studium bestimmte Zusatzqualifikationen haben, zum Beispiel Fische schlachten dürfen. Wir suchen daher eher Spezialisten.“

Seiner Erfahrung nach haben Start-ups durchaus gewisse Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Ich denke, man muss schon dynamisch sein, wenn man in einem Start-up arbeitet. Ein Start-up ist eben keine fertige Geschichte. Vielleicht muss man auch mehr Engagement zeigen als bei einem normalen Job.“

Demnächst möchte das Unternehmen den Bau und die Projektierung von aquaponischen Farmen noch ausbauen. Dafür wollen sie eine Stelle für einen Architekten oder eine Architektin ausschreiben. Auf der Pilotfarm selbst arbeiten vor allem Fachkräfte aus dem Gartenbau und den Pflanzenwissenschaften. Das Start-up ist bei Bewerberinnen und Bewerbern beliebt: „Es ist für viele attraktiv, mitten in Berlin zu arbeiten. Wir sind hier einer der wenigen Betriebe in unserem Bereich.“ 

Viele der Bewerber sind jung und haben bereits durch Praktika oder Ähnliches erste Berufserfahrungen gesammelt, berichtet Christian Echternacht. Für Start-ups gibt es spezielle Förderprogramme bei der Einstellung von Mitarbeitern. Beispielsweise hat die ECF Farmsystems GmbH für die ersten zwölf Monate Stellen über die Investitionsbank Berlin teilfinanziert. Voraussetzung dafür war, dass Hochschulabsolventen eingestellt wurden.

Nachfragen lohnt sich 

ECF Farmsystems sucht vor allem über seine eigene Internetseite beziehungsweise Facebook oder Twitter neue Mitarbeiter. Anders an ihre Stelle im Unternehmen kam dagegen Marie Schönau. Die 30-Jährige hatte im Rahmen ihrer Masterarbeit im Studiengang „Sustainability Economics and Management“ die zwei Gründer von ECF Farmsystems interviewt. Nach ihrem Studium hat sie zuerst als Honorarkraft gearbeitet, sich aber nach einer Anstellung umgeschaut. „Da habe ich einfach ganz frech gefragt, ob hier ein Job frei wäre“, erzählt sie. Eine Stelle war nicht frei, aber genug zu tun gab es. So schufen Christian Echternacht und Nicolas Leschke eine neue Stelle. 

Bei Marie Schönau laufen die Fäden zusammen. Als Assistentin der Geschäftsführung ist sie die Verbindung zwischen Büro und Farm, wickelt eigene Projekte ab, wie die Organisation von Verkaufsläden, und kümmert sich um Führungen durch die Pilotfarm. Besonders gefällt ihr, dass sie in ganz unterschiedlichen Bereichen arbeitet und das Team jung ist. Der Altersdurchschnitt liegt bei knapp 30. Oft verbringt man die Mittagspause zusammen oder sitzt abends gemeinsam am keinen See der Farm.

„Es ist bei uns wirklich unbürokratisch. Ich bin beispielsweise frei in der Urlaubsplanung. Aber es kann schon mal vorkommen, dass ich spontan im Urlaub einspringen muss. Eine Herausforderung ist es auch, dass Strukturen aufgebaut werden müssen. Das kann manchmal nervig sein, aber bietet natürlich auch Möglichkeiten, zu gestalten.“ 

Marie Schönau glaubt nicht, dass das ECF Farmsystems eventuell scheitern könnte: „Ein bisschen Risikobereitschaft gehört schon dazu, wenn man in einem Start-up arbeitet. Aber ich denke, man findet dann immer irgendwo etwas, wo man mitarbeiten kann.“


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