"Wer eine Großstadtbibliothek leiten möchte, braucht Management-Kenntnisse"
Neue Aufgaben, neue Studiengänge, neue Jobs: Konstanze Söllner, Vorsitzende des Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, erklärt, wie sich das Berufsfeld verändert und wie der Berufseinstieg gelingt.
Konstanze Söllner studierte Mathematik und Evangelische Theologie. Nach dem Bibliotheksreferendariat arbeitete sie als Fachreferentin, Abteilungsleiterin und stellvertretende Direktorin an der Universitätsbibliothek der LMU München. Seit 2010 ist sie Direktorin der Universitätsbibliothek der FAU Erlangen-Nürnberg. Sie ist Vorsitzende des Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Mit ihr sprach Jürgen Gauert.
WILA Arbeitsmarkt: Inwieweit haben sich die Tätigkeiten von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren mit der Digitalisierung verändert?
Konstanze Söllner: Es wurden mit der Digitalisierung völlig neue Arbeitsfelder in den Bibliotheken geschaffen. Beispielsweise ist ein sehr wichtiger und wachsender Arbeitsbereich die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz. Das passiert in allen Bibliotheken, und die Zielgruppen sind dabei recht unterschiedlich. Sie reichen vom Grundschüler über Studierende bis zum Doktorand.
Sie alle werden nicht nur bei der Recherche nach geeigneter Literatur unterstützt. Es wird auch Wissen vermittelt, wie man publiziert, und es geht ebenso um das Verwalten von Literatur und von Daten, die bei der Forschung entstehen. Hinzu kommen Themen wie Lernstrategien, Schreibberatung oder Urheberrechte.
Darüber hinaus gibt es weitere neue Arbeitsfelder in Bibliotheken wie das Wissenschaftsmanagement, zum Beispiel die Beantragung von Drittmittelprojekten oder Dienstleistungen für das wissenschaftliche Publizieren und das Forschungsdatenmanagement.
Spiegeln sich diese Erweiterungen bibliothekarischer Dienste auch in der Hochschulausbildung wider?
Ja, aber es ändern sich nicht nur die Inhalte der Studiengänge im Bibliotheksmanagement, sondern es gibt inzwischen auch ganz neue Studiengänge wie beispielsweise Bibliotheksinformatik.
Kann man sich bei diesen wachsenden Anforderungen mit einem Bachelor auf dem Arbeitsmarkt behaupten oder soll man unbedingt den Master aufsatteln?
Es geht eigentlich beides. Man kann sagen, dass Absolventen mit einem Bachelor-Abschluss in Bibliotheksmanagement in Bibliotheken sehr verbreitet sind. Damit ist von Sachbearbeiteraufgaben über die Administration der Bibliotheks-IT bis hin zu einer Leitungsfunktion sehr vieles möglich.
Wer allerdings die Leitung einer Großstadtbibliothek anstrebt, braucht dazu breite Management-Kenntnisse, und die können nicht in einem Bachelor-Studium erworben werden. Für wissenschaftliche Bibliotheken, und das ist vielleicht nicht so bekannt, gibt es Fachlaufbahnen.
Wenn man Fachreferent oder Fachreferentin werden möchte, um fachspezifische Informationen aufzubereiten und zu vermitteln, dann braucht man den grundständigen Master für eines der Fächer, das die Bibliothek vertritt. Das kann von Mathematik über Wirtschaftswissenschaften bis hin zu Theaterwissenschaft oder Kunstgeschichte alles sein. Und dann setzt man die bibliothekarische Zusatzausbildung oben drauf. Es ist nicht so, dass nur ein geisteswissenschaftliches Studium immer die Eintrittskarte in den Bibliotheksdienst darstellt.
- Die Deutsche Bibliotheksstatistik verzeichnet rund 9.000 öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken, die pro Jahr mehr als 200 Millionen Mal besucht werden (Mehrfachbesuche eingerechnet).
- Alle Bibliotheken zusammen stellen rund 357 Millionen Medien zur Verfügung, die im vergangenen Jahr über 465 Millionen Mal ausgeliehen wurden.
- Mehr als 24.000 Beschäftigte arbeiten in öffentlichen Büchereien. Hinzu kommen knapp 8.000 Mitarbeitende in den Hochschul- und Fachbibliotheken.
Wenn man direkt Bibliotheksmanagement auf Bachelor studiert, dann wäre mein Tipp, dass man sehr stark darauf achtet, dass man Lehrveranstaltungen und Praktika aufeinander abstimmt. Wenn man beispielsweise vorhat, später in einer öffentlichen Bibliothek mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, dann sollte man ein entsprechendes Praktikum machen. Man sollte sich deshalb von Anfang an überlegen, wo man einmal hinmöchte, und sich darüber informieren.
"Bibliotheken wandeln sich zu Lernorten und digitalen Wissensspeichern"
Wie wichtig ist die Promotion?
Sie kann wichtig für forschungsbezogene Aufgaben in wissenschaftlichen Bibliotheken sein. Auch die Aufstiegschancen auf Leitungsstellen können sich mit einem Doktortitel verbessern. Die Promotion ist aber kein Muss.
- Der Artikel ist in WILA Arbeitsmarkt für Berufe in Bildung, Kultur und Sozialwesen erschienen. Jede Woche werden dort über 400 Jobs speziell für Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen zusammengestellt. So erhalten die Abonnent/innen einen Überblick über den Arbeitsmarkt, kommen auf neue Jobideen und bleiben bei der Stellensuche am Ball.
Glauben Sie, dass es Bibliotheken in der heutigen Form mit der fortschreitenden Veröffentlichung von Buchinhalten im Internet (aber auch durch die Online-Ausleihe) in zwanzig Jahren noch geben wird?
Man kann sagen, dass es Bibliotheken als reine Ausleihstationen für gedruckte Bücher inzwischen nicht mehr gibt. Wenn jemand nur des gedruckten Buches wegen in einer Bibliothek arbeiten möchte, hat er schon heute ein Problem. Bibliotheken verändern sich derzeit in zwei Richtungen sehr stark. Einerseits zu Lernorten, andererseits zu digitalen Wissensspeichern. Und wenn man das in seiner Ausbildung berücksichtigt, dann wird man als Bibliothekar oder Bibliothekarin auch in zwanzig Jahren noch gebraucht.
Wie gelingt der berufliche Einstieg?
Wer über einen Bachelor-Abschluss in Bibliotheksmanagement verfügt, hat sehr gute Chancen. In Bibliotheken stehen viele Stellen zur Verfügung. Wenn man aber beispielsweise als Physiker oder als Theaterwissenschaftlerin in einer speziellen Fachbibliothek oder an einer Universitätsbibliothek arbeiten möchte, dann muss man sich darauf einstellen, dass es dort nur wenige freie Stellen gibt. Und nicht zuletzt arbeiten in Bibliotheken nicht nur Bibliothekare, sondern auch immer mehr Softwareentwickler, Medieninformatiker oder E-Publishing-Spezialisten.