Im Dialog mit den Bürgern
Viel Diskussionsbedarf herrscht in der Regel, wenn Städte und Kommunen zur Bürgerbeteiligung einladen. Foto: © elen31 / Fotolia.de

Im Dialog mit den Bürgern

Kommunen, Unternehmen, selbstständige Büros - wer in der Bürgerbeteiligung arbeitet, kann das aus verschiedenen Perspektiven heraus tun. Ein Arbeitsfeld in drei Beispielen.

Text: Jasmin Welker

„Bei Bürgerbeteiligung denkt man sofort an große Konfliktfälle. Aber vielmehr sind es eigentlich Prozesse, bei denen man Bürger einbezieht“, erklärt Ariane Bischoff ihre Arbeit. Sie ist im Büro des Oberbürgermeisters von Solingen für nachhaltige Entwicklung und die Lokale Agenda 21 verantwortlich. Seit ein paar Monaten gibt es in der nordrhein-westfälischen Stadt eine eigene Stabstelle Bürgerbeteiligung, die unter anderem Qualitätskriterien und Verfahren für Beteiligungsprozesse festsetzen soll.

Doch auch schon davor fand Bürgerbeteiligung in Solingen statt. Seit 2002 organisiert Ariane Bischoff speziell Bürgerbeteiligungen im Umweltbereich und für eine zukunftsfähige Entwicklung – dabei reicht ihre Tätigkeit von der gemeinsamen Entwicklung von Projekten zur nachhaltigen Mobilität mit Bürgerinnen und Bürger über Dialogveranstaltungen zu Energiesparen und Klimaschutz an Schulen bis hin zur Initiierung von World-Cafés, um neue Schritte für eine zukunftsfähige Entwicklung voranzutreiben.

Schon im Studium begeisterte sich die Landschaftsarchitektin für die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern. In einem Projekt beschäftigte sie sich mit der Frage, wie landwirtschaftliche Flächen genutzt werden sollen – eine Thematik, die damals die ganze Gemeinde bewegte. „Die Menschen vor Ort haben immer die besten Ideen. Auf manche kommt man einfach nicht am Schreibtisch.“ Während ihrer sechs Jahre in einem Planungsbüro habe sie gelernt, nicht eindimensional zu denken, sagt sie, sondern neben den ökologischen und ökonomischen Aspekten auch die sozialen Entwicklungen miteinzubeziehen. 


Eine explizite Fortbildung für den Bereich der Bürgerbeteiligung hat Ariane Bischoff nicht gemacht. „Aus dem Studium habe ich die für Bürgerbeteiligung nötige Methodik mitgenommen. Ich kann nur jedem raten, die Zeit während des Studiums zu nutzen, sich solche Qualifikationen zu erwerben.“ Um sich im Feld der Bürgerbeteiligung weiterzubilden, besucht sie Tagungen und Fortbildungen, zum Beispiel der Stiftung Mitarbeit.

„Spaß an meiner Arbeit macht mir, dass ich mit verschiedenen Menschen zu tun habe. Bei allen schlägt das Herz für Solingen. Alle wollen gemeinsam etwas bewegen.“ So kommt manchmal die Initiative für einen Bürgerbeteiligungsprozess aus der Zivilgesellschaft selbst. Beispielsweise war bei der Weiterentwicklung von Fahrradwegen das Engagement einer bürgerschaftlichen Gruppe ausschlaggebend, berichtet Ariane Bischoff. Auch sie selbst schaut, welche Themen den Bürgerinnen und Bürgern unter den Nägeln brennen. Im Gegensatz zu diesen so genannten informellen Beteiligungsverfahren, führt Ariane Bischoff nur selten formelle Verfahren durch, also solche, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Laut Gesetz müssen Bürger beispielsweise bei bestimmten Bauvorhaben beteiligt werden. 

Ganz konkret sieht ihre Arbeit so aus, dass sie am Anfang schaut, welche Akteure bei einem Thema relevant sind. Mit ihnen spricht sie dann Termine ab für Zukunftswerkstätten, Dialogveranstaltungen oder Workshops. Natürlich bereitet Ariane Bischoff die Veranstaltungen inhaltlich und methodisch vor. Oft moderiert sie auch. Sie beschäftigt sich damit, die verschiedenen Sichtweisen und Interessen herauszuarbeiten und daraus dann Entscheidungen, zum Beispiel des Rates, und Umsetzungsschritte vorzubereiten. Die schlussendliche Dokumentation liegt ebenfalls in ihrer Hand. In engem Kontakt steht sie bei der Organisation von Veranstaltungen mit anderen Fachabteilungen der Stadt wie dem Stadtdienst Natur und Umwelt, der Jugendförderung, dem Stadtdienst Integration oder der Pressestelle.

„Ich denke, es ist gut, dass ich fachlich von grünen Themen Ahnung habe, aber letztendlich kommt es auf die Methode an“, sagt Ariane Bischoff. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, die in anderen Städten im Feld der Bürgerbeteiligung arbeiten, haben eine Ausbildung oder ein Studium im Bereich Verwaltung absolviert.

Neben Städten haben auch einige Unternehmen, die im Umweltplanungsbereich tätig sind, Beauftragte für Bürgerbeteiligung. Gerade von Unternehmen fühlen sich Bürgerinnen und Bürger oft nicht mitgenommen. Es kommt doch schnell der Verdacht auf, dass Bürgerbeteiligung nur vorgeschoben wird, die Unternehmensinteressen aber durchgepeitscht werden sollen.

Beim Übertragungsnetzbetreiber TenneT gibt es eine eigene Abteilung, die ausschließlich für Bürgerbeteiligung zuständig ist. „Dass es in Unternehmen Fachleute gibt, die sich mit Bürgerbeteiligung beschäftigen, ist noch nicht selbstverständlich, auch wenn es mehr werden. Bei uns arbeiten im Bereich Bürgerbeteiligung beispielsweise Geographen, Raum- oder Umweltplaner“, sagt Unternehmenssprecherin Ulrike Hörchens.

Eine davon ist Lea Gulich. Verantwortlich ist sie für Bürgerbeteiligung bei lokalen und regionalen Netzplanungsprojekten in Bayern. Nach ihrem Abschluss in Stadt- und Regionalentwicklung an der Uni Bayreuth hat die heute 29-Jährige zuerst in einem Planungsbüro gearbeitet. Dabei hat sie sich bereits einige Kompetenzen angeeignet, die sie als Referentin Bürgerbeteiligung braucht. „Vieles ist aber auch Learning by Doing. Man muss selbst immer am Ball bleiben und beispielsweise die gesetzlichen Vorlagen kennen.“ Eine explizite Fortbildung hat auch sie nicht gemacht.

Was muss man als Referentin für Bürgerbeteiligung können? Auf diese Frage fallen Lea Gulich fünf Fähigkeiten und Kompetenzen ein: Erstens sollte man Empathie mitbringen. Oft erzählt man ihr persönliche Schicksale. Zweitens sollte man Know-how über Planungsprozesse und gesetzliche Rahmenbedingungen besitzen. Drittens hilft es, „Kommunikationsfähigkeiten“ zu haben. Darunter fasst Lea Gulich das Wissen um Recherchewege und regionale Gepflogenheiten zusammen. „Auch ich habe erst lernen müssen, dass man, wenn man in eine Stammtischrunde in Bayern kommt, „Grüß Gott“ sagt und zur Begrüßung auf den Tisch klopft.“ Viertens sei Spontanität gefragt: „Es kommt schon mal vor, dass in einem Veranstaltungssaal im letzten Moment die Lichter ausfallen. Da muss man darauf reagieren können.“ Fünftens müsse man als Referent für Bürgerbeteiligung den Gesamtüberblick behalten. „Man ist Ansprechpartner für das Planungsteam und gleichzeitig in einer Mittlerposition für die Bürger.“

Wenn man sich mit Lea Gulich über ihre Arbeit unterhält, fällt immer wieder ein Satz, der ihr sehr wichtig ist: „Wir wollen die Bürger möglichst frühzeitig beteiligen.“ Ihre Arbeit beginnt, bevor konkrete Planungen vorliegen. Am Anfang macht sie sich Gedanken darüber, wie Beteiligungsformate aussehen könnten; sie stellt hausintern ein Team zusammen und knüpft Kontakte zu Gemeinden und Bürgerinitiativen, die sich vielleicht schon gegründet haben. „Unser Ziel ist es, eine möglichst kleinteilige Beteiligung durchzuführen. Das heißt, ich suche das persönliche Gespräch.“ Dazu tourt sie durch Gaststätten, Sportheime oder Schulen. Oft ist sie abends unterwegs. Sie wertet aber auch Feedbackbögen aus, die bei den Veranstaltungen verteilt werden.

Sobald der genauere Trassenverlauf geplant ist, machen Lea Gulich und ihre Kollegen mit ihren mobilen Bürgerbüros auf öffentlichen Plätzen in Dörfern und Städten Station. Auf Karten bieten sie den Bürgerinnen und Bürgern dann Informationen. Wenn sie dabei auf aufgebrachte Leute stößt, die die Übertragungsstromleitungen nicht in ihrer Nähe haben wollen, versucht sie die Situation zu versachlichen: „Wir wollen gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen suchen.“ Nach eigenen Angaben sei TenneT in diesem Prozess neutral und verfolge keine eigenen Interessen. 

Auch Ute Kinn hatte schon oft in ihrem Berufsleben mit aufgeladener Stimmung zu tun. „Das Wichtigste ist, dass man den Leuten Wertschätzung und Verständnis für ihre Situation und ihre Argumente zeigt“, sagt die Diplom-Biologin. Mit ihrem Büro „GRiPS – Gesellschaft für intelligente Projektsteuerung“ hat sie sich im Jahr 1998 selbstständig gemacht. „Ich bin sicherlich eine der ältesten im Bereich Bürgerbeteiligung. Ich bin fast schon ein Urgestein“, schmunzelt sie. Nach ihrem Aufbaustudiengang Regionalplanung hat sie zuerst fünf Jahre in der Projektsteuerung im Zusammenhang mit den Planungen für eine Müllverbrennung im Nordschwarzwald gearbeitet.

„Ich hatte keinerlei Erfahrung in Sachen Bürgerbeteiligung. Ich bin einfach so durch meine Tätigkeit in das Thema Bürgerbeteiligung hineingeschlittert. Aber ich fand es von Anfang an spannend, da ich politisch interessiert war. Gott sei Dank gab es die Akademie für Technikfolgenabschätzungen, wo ich mir fachlichen Rat geholt habe.“ Später hat Ute Kinn auch Fortbildungen gemacht, beispielsweise im Bereich Moderation und Mediation.

Als Selbstständige bekommt sie ihre Aufträge von Unternehmen oder Kommunen. Die Kosten für die Bürgerbeteiligung tragen normalerweise die Vorhabenträger – seien es Stadtwerke oder Unternehmen. „Ich habe in den ganzen Jahren noch nie akquiriert. Das Meiste läuft über Empfehlungen.“ Trotzdem: „Es gibt viel Konkurrenz.“ In einigen Projekten arbeitet sie mit anderen Selbstständigen zusammen. „Man begegnet sich viel bei Veranstaltungen, und so haben wir irgendwann beschlossen, uns zusammenzutun.“

Eines ihrer Projekte war beispielsweise die Bürgerbeteiligung bei der Planung von Windenergieanlagen in Schorndorf. Nach einer Analyse der Ist-Situation wurde eine öffentliche Auftaktveranstaltung durchgeführt. „Eine der organisatorischen Fragen, mit denen ich mich beschäftigt habe, war: Wie erreiche ich die Leute?“ So organisiert Ute Kinn den Versand von Einladungen, ließ Plakate aufhängen und Flyer drucken. Auch die Organisation und Moderation der Geländebegehung und Planungswerkstätten gehörten zu ihren Tätigkeiten. Zum Schluss half sie bei der Formulierung der Empfehlungen der Bürger mit.

„Es ist nicht schlecht, wenn man sich fachlich in dem Bereich auskennt, in dem das Beteiligungsverfahren stattfindet. So spricht man dieselbe Sprache wie die Beteiligten. Aber letztlich sind die Kernkompetenzen wie Moderation immer ähnlich, egal ob es um eine Flüchtlingsunterkunft oder eine Windenergieanlage geht.“ Bevor sie einen Beteiligungsprozess durchführt, liest sie sich oft noch Grundwissen in dem jeweiligen Bereich an. Juristisches Wissen schätzt sie als nicht so bedeutend für ihre Arbeit ein. Wichtiger sei es, Ahnung von Projektsteuerung zu haben. „Zuhören ist auch eine der Kernkompetenz. Man muss auch selbst jemand sein, der seine Arbeit reflektieren kann.“

Weitere WILA-Angebote