Coworking: Der feste Arbeitsplatz ist passé
Zukunft der Arbeit: Über 250 Coworking Spaces gibt es mittlerweile in Deutschland. Hier mieten sich Freiberufler flexible Büroplätze. Aber auch Festangestellte entdecken den Charme der offenen und flexiblen Räume.
Tobias Schwarz ist Coworking-Experte. Der Berliner Blogger ist zwei Monate quer durch Europa gereist und hat 26 Coworking Spaces in 18 Ländern besucht. Von dort aus ist er mit Laptop und WLAN-Verbindung seiner Arbeit als Projektleiter von Netzpiloten.de nachgegangen. Mittlerweile arbeitet Tobias Schwarz als Coworking Manager des Berliner Coworking Spaces „Sankt Oberholz“. Mit ihm sprach Benjamin O'Daniel.
WILA Arbeitsmarkt: Du hast rund zwei Monate in Coworking-Räumen in ganz Europa gearbeitet. Brauchen wir eigentlich noch feste Arbeitsräume? Wie lautet Dein Fazit?
Tobias Schwarz: Das hängt vom Beruf ab. Wer Metzgerin oder Straßenbahnfahrer ist, der ist nach wie vor auf einen festen Arbeitsplatz angewiesen. Aber alle Wissensarbeiter, die ihre Arbeit am PC oder Laptop erledigen, die sich per Mail und Telefon mit Kolleginnen und Kollegen abstimmen oder über Projektplattformen mit Kunden kommunizieren, sind nicht mehr auf ein festes Büro angewiesen. Sie können arbeiten wo und wie sie wollen - wenn der Arbeitgeber mitspielt.
Ab und an ist natürlich ein physisches Treffen notwendig. Aber dann fährt man eben kurz ins Büro. Auf meiner Reise hatte ich ein Arbeitstreffen in Berlin während ich eigentlich in Kopenhagen war. Das sind 50 Minuten Flugzeit, also kein großer Aufwand.
Viele Angestellte werden jetzt zusammenzucken. Sie machen es sich gemütlich, mit einer eigenen Zimmerpflanze, Familienfotos und einer Kaffeemaschine neben dem Schreibtisch. Sind das veraltete Vorstellungen?
Jeder macht es sich eben gemütlich. Aber wir personalisieren ja auch unsere Smartphones oder Laptops durch Aufkleber oder Hintergrundbilder. Wenn mir das wichtig wäre, könnte ich ja auch jeden Morgen ein Bild neben meinem Laptop aufstellen, egal wo ich arbeite. Insofern sehe ich da keinen Widerspruch.
- In Coworking Spaces können Selbstständige, Freiberufler, aber auch Angestellte und Firmen einzelne Arbeitsplätze anmieten, sowohl tageweise als auch dauerhaft. Dabei steht ihnen eine professionelle Infrastruktur mit Internetverbindung, Drucker, Telefon- und Besprechungsräumen zu Verfügung. Außerdem gibt es Veranstaltungen, bei denen sich die Coworker miteinander vernetzen können. Weltweit gibt es laut Wikipedia rund 2.500 Coworking Spaces, davon 800 in den USA und etwa 230 in Deutschland.
Du besuchst auch heute noch regelmäßig in ganz Deutschland Coworking Spaces. Welche Menschen mieten sich dort ein - und warum arbeiten sie nicht in Bürogemeinschaften oder im Home Office?
Man hat die Erwartung, dass in Coworking Spaces viele Designer, Blogger oder Programmierer arbeiten. Und diese Gruppe ist dort natürlich auch vertreten. Aber darüber hinaus kommen immer mehr andere Berufsgruppen. Ich habe zum Beispiel auch Erzieher und sogar einen Zauberer getroffen, die dort ihre Büroarbeit erledigt haben.
Im Unterschied zum Home Office oder einer Büro-WG trifft man in Coworking Spaces viel mehr unterschiedliche Menschen. Durch gemeinsame Veranstaltungen baut man sich automatisch ein Netzwerk auf, über das man auf neue Ideen kommt oder auch an Aufträge. Eine neue Entwicklung, die ich beobachte: Mittlerweile gehen auch immer mehr Festangestellte in Coworking Spaces. Nicht nur von Startups, sondern auch aus DAX-Konzernen, dem Mittelstand oder aus öffentlichen Verwaltungen.
Wieso sind Coworking Spaces auch für Festangestellte interessant?
Manche Festangestellte benötigen Kontakt oder ein Netzwerk an Freiberuflern für ihre Arbeit. Andere wollen sich bewusst einmal aus dem Büroalltag in der Firma herausziehen. Ich habe mich etwa mit einer festangestellten Führungskraft unterhalten, die regelmäßig in ein Coworking Space geht, jeden Monat zu einem anderen Anbieter. Dort konnte er in Ruhe an strategischen Fragen arbeiten.
Man braucht auch mal einen Tapetenwechsel, um auf neue Gedanken zu kommen. So entstehen übrigens viele neue innovative Projekte. Dahinter steht das Prinzip der Serendipität. Du findest etwas, wonach du nicht gesucht hast. Durch eine zufällige Begegnung mit einem anderen Menschen entsteht ein neuer Gedanke. Coworking Spaces bieten genau diese Möglichkeiten der unverhofften Begegnung.
Chefinnen und Chefs werden zweifeln. Wer seinen Mitarbeitern ermöglicht, in Coworking Spaces zu arbeiten, hat nicht mehr die volle Kontrolle über sie.
Ja, das stimmt. Wobei man gerade bei Wissensarbeitern sowieso darauf angewiesen ist, dass sie ihren Job ernst nehmen und Verantwortung tragen. Ich selbst habe gemerkt, dass ich ein sehr hohes Verantwortungsbewusstsein hatte, schon allein weil mein Arbeitgeber mir meine Reise quer durch Europa ermöglicht hat, mir also viel Vertrauen entgegen gebracht hat. Entscheidend ist der Nutzen für die Unternehmen. Sie öffnen sich und ihre Mitarbeiter für neue Ideen und Kontakte.
Einzelne Unternehmen setzen dies bereits um. Coca Cola hat etwa in Atlanta ein eigenes Coworking Space eröffnet. Und Microsoft ermöglicht seinen Angestellten zu arbeiten, wann und wo sie möchten. Das kann auch in einer anderen Stadt oder einem anderen Land sein, solange dort auch ein Microsoft-Standort vorhanden ist. Keine Mitarbeiterin und kein Mitarbeiter wird mehr kündigen, weil sie etwa aus privaten Gründen in eine andere Stadt ziehen.
In Paris habe ich einen Accelerator besucht, der Startups finanziell fördert. Das Unternehmen hatte sein Erdgeschoss in einen kostenlosen Coworking Space umgewandelt. Jeden Morgen um neun Uhr standen dort über 50 Programmierer, Designer, Texter und viele mehr, die dort die Arbeitsplätze nutzen wollten. Wenn das Unternehmen einen Freelancer für ein Projekt gesucht hat, mussten die Verantwortlichen nur ein Stockwerk tiefer gehen. Die vielen Freelancer im Erdgeschoss sind allerdings keine Tagelöhner, die auf Arbeit warten. Sie haben ihre eigenen Projekte. Aber vielleicht sind ja auch einige dabei, die gerade Leerlauf und Interesse haben. Das Unternehmen hat also einen Talent- und Kooperationspool im eigenen Haus.
Coworking Spaces findet man vor allem in Großstädten wie Berlin. Wer in einem Vorort oder im ländlichen Raum lebt, kann davon nur träumen.
Ich betrachte es umgekehrt: Für viele Landkreise wäre eine Coworking-Initiative eine spannende Form von Regionalmarketing und Wirtschaftsförderung. Viele Menschen wollen auf dem Land wohnen, weil dort die Mieten günstiger sind und es ruhiger zugeht als in der Stadt. Was sie davon abhält, ist die Pendelei. Viele Regionen kämpfen mit Landflucht, während die Städte überlaufen. Mit günstigen Coworking Spaces würden sie den Menschen ermöglichen, sich digitale ortsunabhängige Arbeitsmöglichkeiten zu suchen, von denen es immer mehr gibt.
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Welche Unterschiede in den Coworking Spaces hast Du bei Deiner Reise durch Europa beobachtet?
In Frankreich boomen Coworking Spaces derzeit. In einer überschaubaren Stadt wie Nantes gibt es alleine fünf Coworking Spaces in einer Straße. Es ist auch immer ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Situation. In Frankreich stagniert die Wirtschaft. Dadurch werden viele in die Selbstständigkeit gedrängt. Sie suchen professionelle Arbeitsumfelder, die ihnen auch Stabilität geben. Dahinter steht ja auch eine alte Tradition: Ich gehe an meinen Arbeitsplatz und sitze nicht zu Hause herum.
Welches Coworking Space hat dir bisher am besten gefallen?
In Gent in Belgien gibt es mehrere sehr schöne Coworking Spaces. Das liegt auch am Anspruch der dortigen kommunalen Verwaltung. Die Stadt hat sich vorgenommen, jedes Projekt so anzugehen wie es eine Metropole auch machen würde. Heißt: Wenn dort etwa ein neues Fahrradsystem entworfen wird, schauen sich die Verantwortlichen um, wie es New York City geregelt hat. Dadurch herrschen in der ganzen Stadt eine enorme Professionalität und eine euphorische Unruhe.
Mein liebstes Coworking Space lag in einer umgebauten Gasfabrik. Lichtdurchflutete Räume, umgeben von historischen Gasometern. Und eine sehr nette, nicht zu große Gemeinschaft.
Vielen Dank für das Gespräch.
Copyright/Foto von Tobias Schwarz: Katharina-Franziska Kremkau
- Serie: "Die Zukunft der Arbeit": Wie verändert sich unsere Arbeitswelt? Wie wirkt sich der digitale Wandel auf den Arbeitsmarkt aus? In unserer neuen Serie „Die Zukunft der Arbeit“ sprechen wir alle vier Wochen ausführlich mit Expertinnen und Experten. Dabei kommen Forscher, Aktivisten, Visionäre, Praktiker und Kritiker zu Wort und geben einen interdisziplinären Ein- und Ausblick.