"Viele Unternehmen feiern in Stellenanzeigen Begriffs-Orgien"
Es gibt Jobbeschreibungen, bei denen einfach nicht klar wird, was die gesuchte Person machen soll. Ein Gespräch mit Betriebslinguist Dr. Rainer Pogarell über Modewörter und erfundene Anglizismen.
Wenn ich Stellenausschreibungen wie „Projektmultiplikator/in für Umweltprojekte“ lese, frage ich mich wirklich: Warum schreiben Unternehmen solche Stellen aus, bei denen niemand weiß, was gemeint ist?
Rainer Pogarell: Das liegt daran, dass die Leitungspersonen in Fachabteilungen, die neues Personal suchen, nicht mit den Personen identisch sind, die die Stellenausschreibungen letztlich schreiben. Die Abteilungsleiterin hat beispielsweise etwas Technisches oder Naturwissenschaftliches studiert, der Personaler dagegen BWL oder etwas Ähnliches. Die beiden haben komplett andere Hintergründe und verwenden eine andere Sprache.
Für den Betriebswissenschaftler ist eine Stellenanzeige die Möglichkeit, in einer großen Zeitung eine Anzeige zu schalten und darin zu zeigen, wie toll das Unternehmen und die Stelle ist. Und so tauchen irgendwelche Modewörter in Stellenanzeigen auf, nur weil die Personalabteilung denkt, die Ausschreibung muss „hip“ klingen. Oft sind das erfundene Anglizismen, die es eigentlich nirgendwo auf der Welt gibt oder nur in völlig anderen Zusammenhängen.
- Zur Person: Rainer Pogarell hat 1987 das Paderborner Institut für Betriebslinguistik gegründet, forscht seitdem über die Sprache der Wirtschaft. Er bringt Unternehmen in Seminaren einfache und verständliche Sprache bei.
So ein Problemfall ist beispielsweise Engineering Director with Customer Care. Auf Deutsch wäre das die technische Leiterin der Kundenabteilung. Man kann das Wort „Ingenieur“ nicht einfach mit „Engineer“ ins Englische übersetzen. Denn mit Engineer sind im Englischen eigentlich Personen gemeint, die im Deutschen Technikern entsprechen. Da wäre es besser, wenn man einfach den Diplomingenieur oder Ingenieurin (Master of Science) ausschreiben würde.
Aber schneiden sich die Firmen mit solchen unverständlichen Stellenanzeigen nicht eigentlich ins eigene Fleisch?
Pogarell: Genau das tun sie. Von den 60 Bewerbungen, die das Unternehmen bekommt, sind dann vielleicht 55 gar nicht zu gebrauchen. Denn es haben sich nicht, wie gesucht, Diplom-Ingenieure beworben, sondern irgendwelche anderen Leute. Dagegen hat es für Bewerberinnen und Bewerber eigentlich sogar Vorteile, wenn Unternehmen sich in Stellenausschreibungen unverständlich ausdrücken. Die Unverständlichkeit schreckt andere Bewerber ab.
Wenn ich so eine uneindeutige Stellenanzeige lese, was soll ich am besten machen?
Pogarell: Ich würde da einfach mal anrufen oder eine E-Mail schreiben. Man kann beispielsweise schreiben: „Ich bin das und das von Beruf, habe das und das gemacht. Lohnt es sich, dass ich mich bewerbe?“ Ich würde immer auf das Unternehmen zugehen. Das ist auch den Personalabteilungen lieb, weil die auch keine große Lust darauf haben, Absagen zu schreiben. Damit kann man allen Beteiligten Arbeit ersparen.
Abgesehen davon kann man mit einer Voranfrage natürlich punkten. Derjenige, der das macht, zeigt, dass er jemand mit Eigeninitiative ist und nicht einfach so ins Verfahren hineinstolpert. Manchmal hilft es auch schon, die Stellenanzeige weiterzulesen. Das Entscheidende ist ja, was hinter dem Titel der Stellenanzeige steht. Da steht dann: Das Unternehmen sucht Leute mit den und den Qualifikationen. Aber auch das kann missverständlich sein.
Wie das denn? Wenn da steht „Englischkenntnisse“, ist doch eigentlich klar, was damit gemeint ist, oder?
Pogarell: Das schon, aber viele Eigenschaften werden einfach automatisch hingeschrieben: Teamfähigkeit oder eben auch Englischkenntnisse sind solche Automatismen. Das wird beispielsweise eine Zerspanungsmechanikerin selten in ihrem Berufsleben brauchen. Solche Anforderungen tauchen auch hauptsächlich deshalb in Stellenanzeigen auf, weil der Mensch in der Personalabteilung nicht wirklich genau nachgefragt hat, welche Qualifikationen die Abteilung braucht. Und dann fängt er halt einfach an, sich etwas zusammenzureimen.
- Das Interview ist im "arbeitsmarkt Bildung, Kultur und Sozialwesen" und im "arbeitsmarkt Umweltschutz, Naturwissenschaften" erschienen. Jede Woche werden dort mehrere hundert Stellen zusammengestellt, passend für Geistes- und Sozialwissenschaftler oder für Naturwissenschaftler. Die aktuellen und qualifizierten Jobs werden in Zeitungen, Fachmagazinen und ausgewählten Fachportalen recherchiert.
Wenn ich an die Stelle „Projektmultiplikator/in für Umweltprojekte“ denke oder „Portfolio Manager/in für Biomethan“ lese, scheint es mir, dass es im „grünen“ Bereich ziemlich viele unverständliche Stellenbezeichnungen gibt.
Pogarell: Ich persönlich kenne eher wenige unverständliche Stellenbeschreibungen im naturwissenschaftlichen Bereich. Besonders schlimm ist es allerdings in der Automobil-Branche. Da feiern besonders viele Unternehmen Begriffs-Orgien. Auch viele kleinere Unternehmen tendieren dazu, unverständliche Stellenausschreibungen zu verfassen.
Manche Unternehmen übernehmen teilweise Stellenbezeichnungen von anderen Firmen auf dem Markt, die größer sind und wirtschaftlich erfolgreicher scheinen. Deutsche Unternehmen wollen mit solchen Stellenausschreibungen „very international“ sein. Mir ist das sehr peinlich gegenüber meinen amerikanischen Freunden. Die fragen mich: Warum schreibt ihr das so? Wenn ihr kein Englisch könnt, lasst das doch lieber. Ich wurde schon oft darauf angesprochen.
Wie meinen Sie, sind solche Stellen wie Projektmultitplikator/in für Umweltprojekte oder Portfolio-Manager/in für Bio-methan zustande gekommen?
Pogarell: So ein Projektmultiplikator macht wahrscheinlich irgendetwas mit Öffentlichkeitsarbeit. Das erscheint mir eine Zurückübersetzung zu sein. Die Stelle war wahrscheinlich mal auf Englisch ausgeschrieben. Portfolio-Manager/in für Bio-methan ist ein klassischer Fall von einem zusammengesetzten Stellentitel. Mein Lieblingswort in diesem Zusammenhang ist „Performance“. Ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich das höre. Das kann man zu fast jeder Stelle dazuschreiben. Da wissen nur Leute, die in dem Bereich bereits arbeiten, was damit gemeint ist. Wenn ich jedoch als Bewerber so etwas lese, habe ich keine Ahnung.
Waren die Stellenanzeigen früher besser oder schlechter?
Pogarell: Lange Zeit wurden die Stellen so benannt wie auch die Stelle des Vorgängers hieß. Aber irgendwann so um das Jahr 2000 hat sich die Einstellung geändert. Da hat man wohl gedacht, man muss hipper klingen.
Und wie wird sich das Ganze in Zukunft entwickeln?
Pogarell: Mittlerweile werden viele Stellen von Personalbeschaffungsagenturen ausgeschrieben. Die sind besonders darauf angewiesen, dass sie für das beauftragende Unternehmen passende Kandidatinnen und Kandidaten finden. Also schreiben sie die Stellen verständlich aus. Oftmals verfassen die Agenturen auch die Stellenausschreibungen in den sozialen Medien. Zuerst habe ich gedacht, dass es in den sozialen Netzwerken eher nicht so gut formulierte Stellen gibt. Aber da wurde ich eines Besseren belehrt.
Das Interview führte Jasmin Welker.