Auf der Suche nach passenden Stellen: Auch viele unserer Abonnentinnen und Abonnenten sind arbeitslos. Foto: WILA Bonn

"Zeit geben, sich neu zu sortieren"

Vor zwei Wochen haben wir gefragt, wie Sie mit der Arbeitslosigkeit umgehen. Mittlerweile haben uns mehrere Leserbriefe erreicht, die wir hier gerne veröffentlichen.

Die Leserbriefe sind Reaktionen auf unseren Artikel "Wie Arbeitslosigkeit unter die Haut geht". Sie möchten auch Ihre Erlebnisse schildern? Haben Sie Ratschläge an unsere Leserinnen und Leser, die gerade auf Jobsuche sind? Wir freuen uns über Ihre E-Mail an redaktion@wila-arbeitsmarkt.de. 

"Im Austausch bleiben"

Sehr geehrtes Redaktions-Team,

vielen Dank für diesen Artikel und die Möglichkeit des Austausches. Auch ich bin Akademikern und seit Ende 2011 arbeitslos. Dazu kommt, dass ich meinen Job aufgrund einer Erkrankung verloren habe. Das hat meinen Selbstwert ziemlich beeinträchtigt.

Da ich mit meinen Bewerbung sehr scheitere und im Moment keine Aussicht habe, zurück in die reguläre Arbeitswelt zu gelangen, habe ich verschiedene Säulen aufgebaut, die mich tragen und mir Struktur bieten. Eine davon ist die von Ihnen schon erwähnte Säule des Ehrenamts. Das macht sich nicht nur gut im Lebenslauf, sondern hilft auch, die eigenen Fähigkeiten zu fördern und Alternativen aufzuspüren, Kompetenzen, die man vielleicht vorher an sich so noch nicht gesehen hat.

Mein Tipp: das Privatleben wird meistens vernachlässigt. Wenn ich mir aber einmal anschaue, was ich neben meinem Beruf schon immer gern gemacht habe oder wofür ich mich eingesetzt oder engagiert habe, dann können auch ganz neue Berufsbilder, Vorstellungen und Einsatzmöglichkeiten entstehen.

Auch ist meine Erfahrung, dass aus den meisten Bewerbungen der Arbeitgeber erst herauslesen muss, was die eigentliche Kompetenz der Bewerbers ist. Allein die Erstellung und das Bewusst werden darüber bringt einen Schub im Selbstwert. Ich selbst habe mir immer wieder Hilfe geholt, wie ich Bewerbungen schreibe, wie man auftritt in Interviews, welche Möglichkeiten ich habe und scheue mich nicht, das auch bei Gelegenheit immer wieder in Anspruch zu nehmen. Denn ich kann mich leider nicht selbst gut coachen.

Also weiterer Tipp: Im Austausch bleiben – am besten mit Menschen, die einen gar nicht so besonders gut kennen und mit keiner Erwartung an einen herantreten. Ich habe selbst aus meiner „Not“ – der Arbeitslosigkeit – meine Profession kreiert, da ich darüber mittlerweile durch meine eigenen Erfahrungen, Kurse und Weiterbildungen richtig bescheid weiß und sämtliche Gefühlsachterbahnen kenne. Ich bin mir sicher: jeder findet seinen Weg – dafür braucht es manchmal auch Geduld. Ich tummle mich auf Kongressen und Veranstaltungen und versuche, Gelegenheiten zu schaffen; aber es gilt auch der Grundsatz "Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, d.h. auch dem Leben Zeit geben, sich neu sortieren zu können. Teilweise sind Menschen in Bewerbungsphasen so darauf konzentriert, Bewerbungen zu schicken und Absagen auszuhalten, das Gelegenheiten im Leben nicht erkannt werden. 

Alles in allem ist das nicht einfach – das behauptet niemand. Daher ist das Verständnis auch sehr wichtig. Zuhören und Verständnis haben. Herzliche Grüße, BL

"Zeit für Weiterqualifikationen nutzen"

Sehr geehrte Redaktion,

ein sehr wichtiger Artikel. Durch die positiven Zahlen zur allgemeinen Lage am Arbeitsmarkt ("Fachkräftemangel", "niedrigste Zahl von Arbeitslosmeldungen seit...") fühlt man sich als plötzlich und unverschuldet stellenlos gewordener Bürger doppelt im Außenseiterstatus. Selbst wenn am Anfang Bekannte und ehemalige Kollegen eventuell noch Mitgefühl aufbringen schwindet deren Geduld in der Regel sehr schnell.

Der Vorwurf irgendwas könne ja mit einem nicht stimmen begleitet jeden, der arbeitslos ist und es länger bleibt als 3 Monate Schonfrist bei Tag und bei Nacht. Nach meiner eigenen Erfahrung ist es als Single bedeutend schlimmer arbeitslos zu sein, als wenn man sich auf Familie, Kinder oder Haustiere konzentrieren kann. In Zeiten der Krise hilft es enorm ein sozial funktionierendes Umfeld, Freunde, Hobbies oder einen Garten zu haben.

Ich habe kein solches Umfeld und werde bei der Sozialauswahl immer als gut ausgebildet, flexibel, noch halbwegs jung und alleinstehend zuerst auf die Abschussrampe gestellt. Angeblich, meinte mal mein ehemaliger Vorgesetzer, fände so jemand wie ich spielend eine neue, bessere Stelle. Die familiär gebundenen seien doch alle ortsansässig. Ich hätte die Freiheit überall hin zu gehen- diese Freiheit ist leider alles was ich habe. Ich bin nun acht Mal hintereinander umgezogen um beruflich Schritt und Kontinuität zu halten, davon waren alle Stellen befristet, die meisten unter 1-2 Jahre.

Natürlich hofft man immer auf Verlängerungen. Dadurch dass dann die Verträge schon wegen der Haushaltslage wieder auslaufen komme ich nirgends richtig an sondern gehöre zu den Dauernomaden. Mit 40 fühlt sich das schon merkwürdig an, im Vergleich mit Leuten die ein anderes Berufsleben haben und geradezu davon gelangweilt sind wie gesettled und wie sicher ihr Leben ist. Meines ist prekär und es geht immer gleich ums Ganze. 

Zu den bereits gegebenen Tipps wie Sport oder feste Hobbies und mehr Selbstachtung kann ich nur noch beisteuern dass es mir sehr hilft, mich nicht als arbeitslos sondern vorübergehend stellenlos zu bezeichnen. Ausserdem habe ich diese unfreiwillig stellenlosen Zeiten immer für Weiterqualifikationen und Entwicklung neuer beruflicher Schwerpunkte verwendet. Auf diese Art habe ich vermeiden können es als vertane Lebenszeit zu sehen. Generell ist es aber frustrierender sich aus der Stellenlosigkeit als idealer Arbeitnehmer präsentieren zu müssen. Es hilft auch mit Leuten zu sprechen die auch oft Vertragslücken ertragen müssen aber was anderes machen, z.B. Schauspieler. Gruss, E.W.

"Druck von der Arbeitsagentur"

In Ihrem insgesamt recht guten Beitrag über den Umgang mit Arbeitslosigkeit haben Sie einen wichtigen Punkt vergessen, der erheblich zum sinkenden Wohlbefinden während der Zeit der Arbeitslosigkeit beiträgt: Den - vor allem im ALG-II-Bezug - unerträglichen Druck seitens der "Betreuer".

Sätze wie: "Ein Straßenkehrer kann zwar nicht als Arzt arbeiten, ein Arzt aber sehr wohl als Straßenkehrer" oder "Denken Sie doch mal über Hilfsarbeiterjobs nach", tragen nur mäßig zur allgemeinen Heiterkeit bei und werden ernsthaft geäußert. Dazu kommen Vermittlungsvorschläge, die das Porto nicht wert sind, begründet mit: "Das ist doch fast sowas Ähnliches wie Ihr Beruf, das hat doch auch was mit Texten zu tun", das Ganze nach mehrjähriger - wenn auch stets befristeter - Berufserfahrung an Universitäten und renommierten Instituten.

Kurz, inkompetente Mitarbeiter, die noch nie eine Uni von innen gesehen haben und mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck Druck ausüben, Bewerbungen allein an ihrer Zahl messen und nicht an ihren Erfolgsaussichten, sind nach meiner Erfahrung ein wesentlicher Auslöser für Depressionen. 

"Praktizierte Anerkennung"

Mittlerweile auf 57 Jahresringe gewachsen, von Beruf Biologisch-Technischer Assistent und Umweltschutzingenieur (FH), sind meine Chancen auf dem Marktplatz für Eurolohn gegen Null geschrumpft. Den allerorts beschworenen Fachkräftemangel und die Wertschätzung von „Best Agers“ kann ich nirgends entdecken.

Trotz alledem arbeite ich halt gern, pflege damit meine Gesundheit, freue sich am gemeinsamen Werken und mache mich freiwillig nützlich. Zur Zeit bin ich in zwei Gemeinschaftsgärten und beim Bürgerservice  des ADFC aktiv. Voraussetzung für meine Geschenke an Arbeitskraft und Lebenszeit ist eine praktizierte Anerkennungskultur und eine kostenneutrale Mitwirkungsmöglichkeit bei gemeinnützigen Vereinen. Gruß, GD

 

Weitere WILA-Angebote