Mit jeder Absage wachsen die Selbstzweifel - so geht es fast allen Jobsuchenden. Foto: © Eléonore H - Fotolia.com

"Entwickeln Sie eine berufliche Landkarte"

Fragen Sie unseren Coach (6): Die Jobsuche ist eine extreme psychologische Belastung. Zeit für einen Perspektivwechsel, sagt Nadja Plothe.

Die Frage: 

Ich bin seit sechs Monaten auf Jobsuche. Ich habe ständig Selbstzweifel und das Gefühl, dass ich nichts wert bin. Heute hatte ich schon wieder eine Absage. Zum Glück muss man fast sagen. Denn eigentlich hätte ich für die Stelle umziehen müssen, was familiär bedingt kaum möglich ist. Wie komme ich aus diesem Loch wieder raus?

Die Antwort von Karrierecoach Nadja Plothe:

Viele Arbeitsuchende orientieren sich stark an den ausgeschriebenen Stellen. Sie versuchen sich in die Beschreibungen „reinzupressen“ und quälen sich, ob sie bestimmte Kompromisse eingehen sollten – zum Beispiel mehrere hundert Kilometer weiterziehen, obwohl sie es eigentlich gar nicht möchten. Dann geht man mehrere Wochen mit solchen Fragen „schwanger“ – und am Ende kommt die Absage. Das ist sehr belastend und drückt natürlich auf das Selbstbewusstsein.

Lassen Sie uns die Situation mal von einer anderen Seite betrachten: Was wäre, wenn Sie die aktuellen Stellenausschreibungen einmal links liegen lassen und den Spieß umdrehen? Haben Sie sich schon einmal gefragt, was Sie wirklich gerne machen? Welche beruflichen und privaten Interessen Sie haben? Winken Sie nicht sofort ab – der Realitätscheck kommt später!

Viele Menschen haben einen Schutzmechanismus. Sie erlauben sich nicht, solche Fragen zu stellen. Aber das Herausfinden der eigenen Wünsche ist kein Luxus, sondern die Basis dafür, um beruflich weiterzukommen.

Fragen, die Sie sich stellen können: Was interessiert Sie besonders? Was tun sie beruflich besonders gerne? Was geht Ihnen leicht von der Hand? Das muss auch nicht ein beruflicher Erfolg sein, sondern kann genausogut die Organisation eines Familienfestes sein. Mit solchen Fragen können Sie Schritt für Schritt eine detaillierte „berufliche Landkarte“ entwickeln.

Im nächsten Schritt suchen Sie sich Branchen und Unternehmen, die Sie interessant finden. Schauen Sie dort nach Menschen, die genau die Tätigkeit ausüben, die Sie interessant finden. Ob dort aktuell Stellen ausgeschrieben werden oder nicht, spielt keine Rolle. Über 50 Prozent aller Jobs werden mittlerweile nicht mehr öffentlich ausgeschrieben, sondern über interne Netzwerke vergeben.

Nun haben Sie die Chance, unverbindlich und unkonventionell herauszufinden, ob die Tätigkeiten wirklich etwas für Sie sind. Dafür können Sie auf diese Personen zugehen und fragen, ob sie für ein Infogespräch zur Verfügung stehen. Zum Beispiel 20 Minuten während der Mittagspause. Fragen Sie aber bitte nicht nach einem Job! Es geht um die Tätigkeit. Viele Menschen sind zu solchen kurzen Gesprächen gern bereit. Dafür braucht es etwas Mut und den Elan, für den eigenen beruflichen Weg aktiv zu werden.

Das Gespräch ist ein erster Realitätscheck. Anschließend können Sie Ihren Gesprächspartner/in fragen, ob er Ihnen ein oder zwei weitere Personen in anderen Unternehmen empfehlen kann, die eine ähnliche Tätigkeit ausüben. So bauen Sie sich ein eigenes, informelles Netzwerk auf. Später können Sie sich noch einmal melden und darauf hinweisen, dass Sie gerne in diesem Bereich arbeiten würden.

Diese Vorgehensweise ist zunächst ungewohnt und eine Herausforderung. Es ist deutlich mehr Eigeninitiative gefragt als bei klassischen Bewerbungen. Doch „das Aufraffen“ lohnt sich: Sie erhalten mehr Klarheit über ihre beruflichen Wünsche und ein Netzwerk in ihrem „Lieblings-Arbeitsfeld“.

Viele entgegnen, dass dieser alternative Weg zu viel Zeit kostet, sie aber jetzt schnell einen Job brauchen. Ich habe andere Erfahrungen gemacht: Eine Bewerbungsphase – egal mit welcher Methode – dauert meistens drei Monate, häufig aber bis zu einem Jahr. Und wenn man einen schlechten Kompromiss eingeht – zum Beispiel jeden Tag zwei Stunden pendelt – tut man sich damit dauerhaft keinen Gefallen.

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Nadja-PlotheNadja Plothe begleitet und coacht Gruppen, Teams und Einzelpersonen bei beruflichen Veränderungs- und Umbruchprozessen. Ihr ist es wichtig, zu eigenen, stimmigen Wegen zu ermutigen und gemeinsam mögliche Spielräume zu erkunden. Nadja Plothe gehört zu unseren Coaching-Kooperationspartnern.

 

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