Raus aus der Passivität
Zehn Minuten, zehn Stellen: Wie Geistes- und Sozialwissenschaftler/ innen bei der Jobsuche vorankommen, erklärt Redaktionsleiter Andreas Pallenberg im Interview.
Wie hat sich der Arbeitsmarkt für Geistes- und Sozialwissenschaftler in diesem Jahr entwickelt?
Andreas Pallenberg: Wir finden für unseren Infodienst arbeitsmarkt immer noch jede Woche 500 bis 600 aktuell ausgeschriebene Stellen, die mit Geistes- und Sozialwissenschaftlern besetzt werden können. Ich würde also von einer stabilen Stellensituation auf dem Arbeitsmarkt sprechen. Auch die Beschäftigungsquote bei Geisteswissenschaftler/innen ist nicht schlecht, erfordert aber vom einzelnen viel Initiative. Dazu kommt: Die geisteswissenschaftlichen Studiengänge erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Insofern gibt es mehr potenzielle Arbeitskräfte als Jobs. Dadurch verschärft sich die Konkurrenz und dass sich auf viele Stellen weit über 100 Kandidaten bewerben, ist normal.
Sie halten regelmäßig Vorträge in Hochschulen und auf Jobmessen. Wie gehen Absolventinnen und Absolventen mit der Jobsuche um?
Ich bin immer wieder erstaunt. Die Fragen und Reaktionen nach den Vorträgen lassen darauf schließen, dass sich gerade die Geisteswissenschaftler/innen immer noch zu spät mit ihrem Arbeitsmarkt auseinandersetzen. Es wird immer noch viel verdrängt, verschoben und weggelächelt. Nach dem Motto „Ich werde sowieso Taxifahrer“. Dabei geht es um die eigene berufliche Zukunft!
Betrifft das bestimmte Altersgruppen?
Nein, es geht nicht nur um die Anfangssemester, sondern auch um Absolventen und Doktoranden. Ich höre von ihnen oft den Satz „Ach, hätte ich das früher gewusst“. Selbst diejenigen, die bereits einige Jahre im Beruf sind und vielleicht einen befristeten Vertrag haben, sind meiner Meinung nach immer noch zu passiv.
Woher kommt das?
Die Hochschule ist ein geschützter Raum. Wer im Bachelor, Master oder später in der Promotion steckt, der hat eben keinen konkreten Anlass, sich frühzeitig mit der Jobsuche auseinanderzusetzen. Dazu kommt: Der Arbeitsstoff hat sich deutlich verdichtet. Viele sind ständig am Rande ihrer Kapazitäten. Und jeder hat ja auch noch ein Privatleben und andere Sorgen. Da fällt die Auseinandersetzung mit dem Arbeitsmarkt leider hinten runter. Oder man macht sich zwar Gedanken, dreht sich aber zu sehr im eigenen Kreis.
Wie kann ich mich mit dem Arbeitsmarkt auseinandersetzen – egal ob ich jetzt an der Hochschule bin oder bereits in einem Job, der mich aber nicht zufrieden macht?
Es geht darum, dass man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt herzhaft für einen Weg entscheiden sollte, an dem man sich abarbeiten kann, an den man aber keineswegs gebunden ist. Viele hängen stattdessen in einer ewigen Schleife fest. Sie zaudern und hadern mit ihrer Situation. Aber jede Entscheidung ist besser als der ständige Aufschub!
Aber wie entscheide ich mich herzhaft für einen Weg?
Eine Methode, die ich gerne in Workshops anwende, heißt „Zehn Minuten, zehn Stellen“. Die Teilnehmer/innen bekommen unsere arbeitsmarkt-Hefte und haben zehn Minuten Zeit, zehn Stellen auszusuchen, die sie interessieren. Sie müssen die Stellenausschreibungen priorisieren, also nach Attraktivität sortieren: Was ist mein Traumjob und was gerade noch erträglich? Durch den Zeitdruck hat man keine Chance, ewig hin und her zu überlegen. Man muss sich entscheiden.
Anschließend kann man die konkreten Stellen analysieren. Welche Kompetenzen werden dort gefordert? So kann man für sich schnell herausfinden, welche Defizite man noch hat, aber auch, was man schon vorweisen kann. Und schon zeigt sich ein erster Weg auf, den man in den nächsten Jahren gehen kann.
Noch ein paar Fragen zu unserem Informationsdienst. Das Jahr 2014 geht vorbei. Bezogen auf den arbeitsmarkt: Was war Ihr persönliches Highlight dieses Jahr?
An erster Stelle die neue Homepage www.wila-arbeitsmarkt.de. Der Relaunch war lange überfällig. Daneben aber auch das lange vorbereitete Mentoring-Projekt, bei dem ehemalige Abonnenten mit Einstiegserfahrungen den noch Arbeit Suchenden Abonnenten ehrenamtlich ihre Hilfe anbieten. Das ist inzwischen angelaufen und ist ein Selbstläufer.
Auch die Bewerbungshotline für Abonnent/innen hat sich mittlerweile etabliert. Wer ruft an und welche Fragen werden gestellt?
Es rufen oft Leute an, die direkt vor einem Vorstellungsgespräch stehen. Da gibt es dann ganz konkrete Fragen zum Thema Gehalt, zum Lebenslauf oder zum Umgang mit der Vergangenheit. Also ganz konkret zu beantwortende Sachfragen. Manchmal aber geht es auch um Einschätzungen und Verhaltensfragen: Wie ehrlich soll ich sein, was die letzte Kündigung betrifft, wie soll ich mit krankheitsbedingter Lücke umgehen?
Meistens gibt es keine eindeutigen Antworten, sondern eher ein längeres Gespräch, bei dem man persönliche Einschätzungen abgeben kann und zusammen mit dem Ratsuchenden zu einem Weg oder einer Strategie findet. Manche rufen dann auch noch mal an und berichten wie es war.
Im Internet gibt es zahlreiche Jobbörsen. Wie stehen Sie eigentlich dazu?
Ja, es stimmt, im Netz hat sich ein starker Stellenmarkt etabliert – und natürlich hat dies auch Auswirkungen auf unser Angebot. Aber die vielen Jobbörsen sind auch von Unübersichtlichkeit geprägt und zudem eher für Menschen geeignet, die bereits eine klare Vorstellung haben, wohin sie wollen. Wir wollen dagegen auch Orientierungshilfe sein, für alle, die auch über den Tellerrand schauen wollen. Für Menschen, die sich für mehrere Tätigkeitsfelder interessieren; die auch auf Jobs stoßen wollen, auf die sie selbst nicht gekommen wären.
Außerdem werten wir deutschlandweit über 90 Regionalzeitungen aus und dutzende Fachmagazine. Dort finden sich Jobperlen, die man längst nicht in jedem Onlineportal findet. Es ist also eine Ergänzung. Und zu guter Letzt haben wir mit der Bewerbungshotline, dem Mentoringprojekt, den Coaching-Kooperationen und den Weiterbildungsangeboten viele Angebote, die Stellensuchende aus ihrer Isolation holen und konkrete Hilfe anbieten.
Manchmal sind wir aber auch einfach eine Art Gedankenstütze. Jemand will sich beruflich umschauen und braucht einen wöchentlichen Anker, der zur Stellensuche aktiviert. Insofern gibt es viele Situationen und Gründe, unser Heft zu abonnieren.
Was hat die Redaktion für das nächste Jahr vor?
Nächstes Jahr haben wir ein sehr ehrgeiziges Programm. Augenscheinliche Veränderung wird das neue Layout des Heftes sein. Weiter ausgebaut werden sicher unsere Beratungsthemen und auch unser Ansatz, unseren Leser/innen eine Art Forum zu bieten. Wir möchten, dass unsere Leser miteinander über ihre Stellensuche sprechen. Die Jobsuche ist eben anspruchsvolles Projekt und auch eine extrem harte Phase. Da tut es gut, wenn man nicht alleine ist.
Zur Person
Andreas Pallenberg ist seit vielen Jahren in Personalkommissionen tätig und seit 19 Jahren Redakteur des Informationsdienst arbeitsmarkt Bildung, Kultur, Sozialwesen. Er hält regelmäßig Vorträge an Universitäten, bei Career-Service-Einrichtungen und Alumni-Initiativen zum Themenfeld Berufseinstieg für Geisteswissenschaftler/innen.