"Vielen ist nicht klar, wie viele Möglichkeiten sie haben"
Gianna Reich ist Karriere-Bloggerin. Das Thema in ihrem Blog: Geisteswissenschaftler/innen in der Wirtschaft.
Im Interview erzählt sie, warum sie ihr Blogprojekt geisteswirtschaft.de vor drei Jahren gestartet hat und warum es viele Erfolgsgeschichten gibt - aber keine Patentrezepte.
Sie haben sich wie viele andere Geisteswissenschaftler/innen irgendwann die Frage gestellt, was man später einmal mit dem Studium beruflich anfangen kann. Das Informationsangebot dazu fanden Sie verbesserungsbedürftig. Aus dieser Not haben Sie eine Idee entwickelt. Was ist dann passiert?
Gianna Reich: 2011 gab es eine Handvoll Ratgeber auf dem Markt, die das Thema behandelt haben. Die habe ich auch alle gelesen, aber ich hatte das Gefühl, dass diese Ratgeber nur an der Oberfläche des Themas kratzen, aber nicht in die Tiefe gingen. Ich wollte konkrete Beispiele, wie Geisteswissenschaftler/innen den Berufseinstieg geschafft haben, keine pauschalen Ratschläge wie „Machen Sie Praktika“ oder eine Vorstellung der sowieso schon bekannten Berufsfelder wie Journalismus.
Also beschloss ich, der Sache selbst auf den Grund zu gehen in Form eines Blogs. Meine Idee war, sämtliche Informationen rund um den Berufseinstieg für Geisteswissenschaftler/innen zusammenzutragen: Termine, Ankündigungen, Berichte in anderen Medien, Jobbörsen, Literaturvorstellungen, Bewerbungstipps, usw. Ich dachte mir immer: Andere Fächer sind doch so gut vernetzt und haben ein reichhaltiges Informationsangebot im Internet, warum nicht auch die Geisteswissenschaften?
Um nicht nur fremdes Wissen zusammen zu tragen, sondern auch selbst neue Erkenntnisse zu schaffen, begann ich damit, beruflich erfolgreiche Geisteswissenschaftler/innen zu ihrem Werdegang zu interviewen, was bis heute den Kern von Geisteswirtschaft ausmacht. Im Fokus standen hierbei die authentischen Lebensläufe von Menschen, die es sozusagen „geschafft haben“. Ich wollte wissen, was sie richtig oder falsch gemacht haben, was vielleicht typisch für Geisteswissenschaftler/innen ist, was sie rückblickend an ihrem Studium schätzen und welche Tipps sie haben.
Worum geht es in Ihrem Blog?
Die Intention von Geisteswirtschaft ist ganz klar, Geisteswissenschaftler/innen beim Berufseinstieg in die Wirtschaft zu unterstützen. Ein Studium bildet gewöhnlich für einen akademischen Werdegang aus, allerdings schlagen die wenigsten nach dem Studium auch eine Hochschulkarriere ein. Es gilt also, die Kenntnisse und Fähigkeiten aus dem akademischen Studium auf das Berufsleben zu übertragen, sinnvolle Vorbereitungen zu treffen und mögliche Berührungsängste mit der Wirtschaft abzubauen. Vor allem möchte ich auf dem Blog zeigen, dass Geisteswissenschaftler/innen viele Chancen haben unterzukommen, weit über die gängigen Branchen wie Verlag, Medien und Kultur hinaus.
- Zur Person: Gianna Reich ist gelernte Mediengestalterin (Digital/Print) und studiert aktuell Germanistik und Angewandte Kulturwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Parallel zu ihrem Studium arbeitet sie am Institut für Germanistik: Literatur, Sprache, Medien, sowie am Studienzentrum Multimedia (SZM) und ist unter anderem in der Lehre tätig mit Seminaren zu Photoshop und InDesign.
Es wird viel über die neue Offenheit der Arbeitgeber gegenüber den Geisteswissenschaftlern gesprochen. Ist das eher ein Wunsch oder erkennen Sie da ein ernst zu nehmendes Umdenken in den Chefetagen?
Man muss sich vor Augen halten, dass kaum ein Fach dazu geeignet ist, Absolventen direkt als Arbeitskraft zu nutzen, außer vielleicht die Ingenieurwissenschaften. Es ist also zu beobachten, dass die Relevanz des einzelnen Studienfachs mehr und mehr in den Hintergrund tritt. Wichtig ist, dass man studiert hat und vor allem, was man neben dem Studium gemacht hat, sprich welche Praxiserfahrungen der Einzelne hat. Was am Ende zählt, ist das individuelle Profil eines Bewerbers, weniger das Studienfach.
Davon profitieren natürlich auch Absolventen der Geisteswissenschaften, da sie weniger auf ihr Studienfach reduziert werden und mehr mit ihren für die Stelle relevanten, Kenntnissen punkten können. Ich kann Absolventen der Geisteswissenschaften nur raten, sich auch auf Stellen zu bewerben, die nicht explizit an ihren Fachbereich adressiert sind. Wenn man sich zutraut den Job machen zu können, sollte man sich in jedem Fall bewerben. Ich habe mit dieser Taktik bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Einige Personaler waren positiv überrascht zu erfahren, dass ich Germanistik und Kulturwissenschaft studiere aber dennoch mit meinem Profil gut zur ausgeschriebenen Stelle passe.
Was haben Sie bisher für ein Feedback von Ihren Leserinnen und Lesern erhalten?
Ich bekomme oft zu hören, dass es über Geisteswirtschaft hinaus kaum Angebote und Quellen gibt, die über den Berufseinstieg für Geisteswissenschaftler/innen informieren. Viele Studierende der Geisteswissenschaften haben ihr Fach zwar aus Überzeugung gewählt, sind jedoch verunsichert, was nach dem Studium auf sie wartet.
Überall bekommt man erzählt, der Berufseinstieg für Geisteswissenschaftler/innen sei schwer und überhaupt werden doch am Ende alle Taxi fahren. Solche Klischees können sehr verunsichern, insbesondere wenn es an starken Vorbildern mangelt. Genau hier möchte ich mit Geisteswirtschaft ansetzen, indem ich durch die Interviews Menschen in die Öffentlichkeit hole, die beweisen: viele Wege führen zum Erfolg. Und ich möchte deutlich machen, dass man selbst sehr viel tun kann, um sich in eine gute Startposition für den Berufseinstieg zu bringen. Ich glaube, dass vielen Studierenden gar nicht klar ist, was für eine Vielzahl an Möglichkeiten sie haben.
- Zum Projekt: Seit Juli 2011 bloggt Gianna Reich unter Geisteswirtschaft.de zum Thema GeisteswissenschaftlerInnen in der Wirtschaft. Ihre Arbeit beschreibt sie als Infopreneurship: Sie wertet Quellen aus (Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, Webseiten und Blogs, Interviews und persönliche Gespräche), sammelt und filtert die daraus gewonnen Informationen, um sie anschließend aufbereitet auf dem Blog oder in Gastartikeln, Vorträgen, Beratungen und Workshops weiterzugeben.
Wie beurteilen Sie die bestehenden Beratungs- und Förderungsangebote seitens der Arbeitsverwaltung, der Universitäten und der Career-Service Einrichtungen für Rat suchende Geisteswissenschaftler/innen?
Das Problem bei diesen Beratungsangeboten ist häufig, dass die Einrichtungen für viele, unterschiedliche Fachbereiche zuständig sind. Die Career-Center der Universitäten zum Beispiel müssen Angebote für die unterschiedlichsten Studienfächer schaffen. Da fallen die Geisteswissenschaften gern mal unter den Tisch, entweder weil die Zahl der Studierenden zu gering ist, um ihnen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, oder weil die Firmen, die solche Events zum Teil sponsern, stärker an den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern interessiert sind.
Zudem brauchen Geisteswissenschaftler/innen oftmals eine besondere Form der Betreuung und Förderung. Das Herausarbeiten der eigenen Stärken und Kompetenzen sowie das Lokalisieren von Schnittstellen zwischen Studium und Wirtschaft sind ganz wesentliche Punkte, die in der Beratung aber meistens zu kurz kommen oder gar wegfallen.
Wie beurteilen Sie den gegenwärtigen Informationsstand der Studierenden hinsichtlich ihrer Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt? Gibt es immer noch das herbe Erwachen nach dem Examen?
Es gibt Informationen zum Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler/innen, natürlich. Woher käme sonst der ganze Input, den ich auf meinem Blog verarbeite? Allerdings scheinen viele nach einer Art Patentrezept für den Berufseinstieg zu suchen und das gibt es selbstverständlich nicht. Die Literaturwissenschaftlerin Gunhild Berg, die Ratgeber für Geisteswissenschaftler/innen untersucht hat, stellte fest, dass die Bücher in den letzten Jahren zunehmend individuelle Erfolgsgeschichten erzählen und dafür immer weniger typische Einstiegswege beschreiben. "Ratgeber können heute offenbar keine Karrierewege mehr anbieten, die verallgemeinerbar wären oder zur Nachahmung anleiteten", folgert sie.
Das hat einfach etwas mit dem Wandel unserer Arbeitswelt zu tun. Anstatt diesen Wandel jedoch als Chance zu begreifen, sind viele Studierende verunsichert, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen. Allerdings kann man ihnen auch nicht alle Herausforderungen, die das Studium mit sich bringt, abnehmen. Herauszufinden, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen, was man beruflich einmal machen möchte und wie man dort hin kommt, sind Schritte, die man selbst unternehmen muss.
Ich beobachte leider oft, dass Studierende sich zu spät Gedanken darüber machen, wohin die berufliche Reise einmal gehen soll. Und dann erfolgt natürlich auch das böse Erwachen, das ist ganz klar. Im Nachhinein auf die Wirtschaft zu schimpfen, die ja keine Geisteswissenschaftler/innen haben will, ist einfach. Mir fehlt in den Geisteswissenschaften ein wenig das Selbstbewusstsein dafür, dass jeder auch eine gewisse Eigenverantwortung hat was den Berufseinstieg angeht.
Die Zahl der Studierenden geisteswissenschaftlicher Fächer steigt stetig. Mit Blick auf deren „arbeitsmarktliche Verwertbarkeit“ könnte einem ja schwindelig werden. Wie geht es Ihnen dabei?
Grundsätzlich steigt die Zahl der Studierenden von Jahr zu Jahr, fächerübergreifend. Die Medien sprechen ja auch schon von einem Akademikerwahn. Das ist aber ein gesellschaftliches Problem, keines der Geisteswissenschaften im speziellen. Tatsache ist nun einmal, dass unter den Akademikern die Arbeitslosenquote am geringsten ist. Das heißt grundsätzlich steht man mit einem abgeschlossenen Studium noch immer besser da, als ohne.
Ob ein Studium allerdings immer notwendig ist oder für jeden geeignet, ist eine andere Frage. Ich finde es fragwürdig, dass es immer mehr Stellen gibt, für die in der Generation meiner Eltern eine betriebliche Ausbildung gereicht hätte und die heute nur noch mit Akademikern besetzt werden. Ist doch klar, dass als Antwort auf diese Entwicklung die Studierendenzahlen steigen.
Wie sehen Sie die Zukunft geisteswissenschaftlicher Expertise auf dem Arbeitsmarkt und speziell in der Wirtschaft?
Wer sein Studium ernst nimmt und wirklich bemüht ist, sich mit den Inhalten und Herausforderungen auseinanderzusetzen, der lernt ganz automatisch gewisse Fertigkeiten, die auch für die Wirtschaft zunehmend von Interesse sind: Ausdrucksvermögen, analytisches Denken, Eigeninitiative, ein zeitgemäßes und interkulturelles Kommunikationsverständnis, Abstraktions- und Reflexionsvermögen, Selbstorganisation und -motivation, Flexibilität sowie Medienkompetenz und der Umgang mit Quellen, um nur einige Beispiele zu nennen. Das klingt alles sehr abstrakt, aber dennoch sind diese Skills in unserer komplexen, schnelllebigen Arbeitswelt wichtiger denn je.
Geisteswissenschaftler/innen sind prädestiniert, an Schnittstellen zu arbeiten, zum Beispiel zwischen Unternehmen und seinen Kunden oder Institutionen und der Öffentlichkeit. Hier wird der Bedarf an kompetenten Vermittlern eher steigen als zurückgehen. Zudem kenne ich kaum eine Branche, in denen Geisteswissenschaftler/innen gar keine Chance haben. Vielleicht wird eine Germanistin nicht unbedingt im Rechnungswesen arbeiten, dafür aber im selben Unternehmen den Onlineauftritt managen oder Personalfragen klären. Hier spielt der bereits genannte Mut eine Rolle, sich auf Stellenanzeigen zu bewerben, die nicht explizit an Geisteswissenschaftler/innen gerichtet sind. Daher sehe ich den Arbeitsmarktentwicklungen eher positiv entgegen.
Eine professionelle Website macht viel Mühe. Wie finanzieren Sie ihre Arbeit?
Geisteswirtschaft ist quasi mein Ehrenamt. Ich erwirtschafte durch die Seite selbst keinerlei Gelder. Allerdings werden zunehmend auch Universitäten, Stiftungen und anderen Plattformen auf meine Arbeit und Expertise aufmerksam und buchen mich als Rednerin oder für die Durchführung von Workshops.
Haben Sie Pläne für die Zukunft, was Geisteswirtschaft betrifft?
Ich möchte Geisteswirtschaft auf jeden Fall weiter ausbauen und professionalisieren. Mein Ziel ist es, eine richtige Plattform zu schaffen, auf der Geisteswissenschaftler/innen noch mehr Informationen rund um den Berufseinstieg finden und sich auch miteinander austauschen können. Zudem soll es weitere Beratungsangebote wie Webinare und E-Mail-Workshops geben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, nach dem Studium hauptberuflich in dieses Thema einzusteigen und schmiede aktuell auch Pläne in diese Richtung.
Vielen Dank!