"Arbeitgeber wollen lieber mehr Bewerbungen bekommen"
Im Interview: Die Hamburger Karriereberaterin Svenja Hofert über Zeitarbeit bei Ingenieuren, jobsuchende Biologen und die steigenden Anforderungen des Arbeitsmarktes.
Frau Hofert, warum wird der Fachkräftemangel im MINT-Bereich öffentlich so hochgehangen, obwohl es nur in wenigen MINT-Berufen Engpässe gibt?
Svenja Hofert: Es gibt derzeit keinen flächendeckenden Fachkräftemangel. Der angebliche Fachkräftemangel wird von Arbeitgebern sowie Interessenverbänden herbeigeredet. Arbeitgeber wollen die Wahl haben und lieber 30 Bewerbungen bekommen, anstatt vielleicht nur acht oder gar drei. So kann ich mir die besten Leute aussuchen, die ich auch nicht selbst weiterbilden muss.
Das ist der Punkt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen etwas nicht können, steigt durch die Digitalisierung und sich schnell verändernde Ansprüche stark an. Die Halbwertzeit des Wissens wird immer kürzer. Zudem sind die regionalen Unterschiede so groß, dass man den Mangel einfach nicht pauschalisieren kann. Viele Menschen arbeiten lieber in Großstädten wie Hamburg, Berlin oder München. Viele Firmen suchen allerdings in ländlichen Regionen, die nicht so beliebt sind. Ein weiterer Aspekt ist, dass die MINT-Berufe sehr vielfältig sind, das wird viel zu wenig kommuniziert. Der gesamte Bereich Informatik zum Beispiel wird oft als Garant für gute Karrierechancen dargestellt. Medieninformatiker etwa haben es aber nicht so leicht wie Robotik-Experten.
Also sind die allgemeinen Zahlen nicht besonders aussagekräftig?
Hofert: Man muss genauer hinschauen. Bei Ingenieuren zum Beispiel liegt ein Großteil der ausgeschriebenen Stellen im Zeitarbeitsbereich oder läuft über Ingenieurdienstleister, die Arbeitskräfte an Unternehmen ausleihen, werden aber als gleichwertige Stellen verkauft, obwohl sie das nicht sind. Das belegen etliche Studien, und genau das erlebe ich auch bei meinen Kunden. Zeitarbeit und Jobs bei Dienstleistern sind im MINT-Bereich gängig. Direkt bei einem Unternehmen angestellt zu sein, ist psychologisch aber ein ganz anderes Gefühl von Sicherheit, als als Satellit oder auf Zeit zu arbeiten.
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Inwiefern sind Unternehmen bei dieser Problematik gefragt?
Hofert: Unternehmen sollten versuchen, das starke Gefälle abzubauen. Kleine und mittelständische Unternehmen bilden oft schlechter aus und bieten zu wenige Fortbildungen an. Gerade Fortbildungen sind jedoch in der heutigen Zeit, in der sich die Technik rasant verändert, sehr wichtig. Jemand, der drei Jahre in einem Unternehmen gearbeitet hat, ist oft danach zunächst nicht vermittelbar, weil ihm die aktuellen Software-Kenntnisse fehlen. Die Anforderungen des Arbeitsmarktes wachsen stetig.
Was raten Sie Naturwissenschaftlern wie Biologen oder Geologen, die völlig frustriert vom pauschalen Begriff „MINT-Fachkräftemangel“ in Ihre Karriereberatung kommen?
Hofert: Ich würde zunächst den Lebenslauf und die persönlichen Neigungen analysieren. Je nach individuellem Fall kann eine gezielte Weiterbildung sinnvoll sein oder das Sammeln von praktischen Erfahrungen in Projekten, die oft nicht vergütet werden. Ein Kunde von mir hat in Eigenregie ein 5.000 Seiten starkes Programmierhandbuch gelernt – da muss das Interesse natürlich groß sein.
Aber ein Biologe, der sich in den Bereich Online-Marketing reinarbeiten möchte, kann sich Referenzprojekte suchen, wie etwa Verbände und Vereine im Online-Bereich zu unterstützen. Biologen und Geologen haben oft gute Chancen im Vertrieb oder im Kommunikationsbereich. Generell kann sich jeder überall einarbeiten. Eine bei den individuellen Kenntnissen und Neigungen aufbauende Beratung ist da grundsätzlich empfehlenswert. Gute Excel- und Word-Kenntnisse, Erfahrungen im Bereich Projektmanagement sowie fließendes Englisch sind für jeden wichtige Basics, die aber vielen Fachkräften fehlen.
Das Interview führte Katharina Hamacher.
Zur Person
Svenja Hofert ist Inhaberin der Hamburger Karriereberatung „Karriere & Entwicklung“. Seit 14 Jahren beraten die 49-Jährige und ihr Team überwiegend Fach- und Führungskräfte aus dem gesamten Bundesgebiet. Svenja Hofert hat langjährige Erfahrung als Outplacementberaterin, Karriereberaterin, Karrierecoach und Trainerin. Ihre Auftraggeber sind Privatpersonen und Unternehmen.
In ihrem eigenen Blog widmet sie sich aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt.