Frauenstudiengänge
Alle Lehrveranstaltungen freitags und samstags - so läuft es an der Katholischen Hochschule NRW. Symbolbild / Foto Copyright: © Woodapple - Fotolia.com

Frauenstudiengänge

Eine Hand voll Studiengänge in Deutschland richtet sich nur an Frauen - unter anderem in Informatik, Ingenieurwesen und Soziale Arbeit. Warum? Janna Degener hat nachgefragt.

Prof. Dr. Marianne Genenger-Stricker koordiniert den Studiengang "Soziale Arbeit für Frauen in und nach der Familienphase" an der Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO NRW). Im Interview spricht sie über den Unterschied zu gemischten Studiengängen, 

Wie kam Ihre Hochschule auf die Idee, einen Studiengang zu gründen, der sich nur an Frauen richtet?

Marianne Geneger-StrickerMarianne Genenger-Stricker: Die Idee kam über einen Frauenverband, der Ende der 80er Jahre an uns herangetreten ist. Damals gab es viele Frauen, die vor der Familienzeit gearbeitet hatten, dann auch ehrenamtlich engagiert waren und an einem Punkt ihres Lebens wieder beruflich tätig werden wollten. Viele dieser Frauen wollten nicht unbedingt wieder in ihren alten Beruf zurückkehren, sondern das, was sie im Kontext von Familie und zivilgesellschaftlichen Engagement erfahren hatten, professionalisieren. Dadurch entstand die Idee für einen Studiengang, der so organisiert ist, dass er sich mit einer Familientätigkeit vereinbaren lässt. Zielgruppe des Studiengangs waren also von Anfang an Frauen mit Kindern.

Was unterscheidet den Frauenstudiengang von den normalen, also gemischten, Studiengängen im Bereich „Soziale Arbeit“?

Genenger-Stricker: Allein die Organisationsform ist anders, da sich der normale Studienbetrieb mit Familienaufgaben nicht vereinbaren lässt: In einem normalen Studiengang kann es passieren, dass man montags um acht Uhr, dienstags aber erst um elf Uhr beginnt, was sich mit der Kinderbetreuung schlecht vereinbaren lässt. Deshalb finden im Frauenstudiengang alle Lehrveranstaltungen freitags und samstags statt.

Darüber hinaus spielt das Eigenstudium eine wichtige Rolle, das allerdings von uns vorbereitet und begleitet wird. Und die Studentinnen treffen sich in festen Lerngruppen, um ihre Erfahrungen zu reflektieren. Über diese Fragen der Studienorganisation hinaus unterscheidet sich der Frauenstudiengang nicht von den normalen Studiengängen: Die Studien- und Prüfungsordnungen sind identisch mit denen der anderen Studiengänge, und manchmal schreiben die Studierenden der verschiedenen Studiengängen am gleichen Tag im gleichen Raum die gleiche Prüfung.

Frauen, die sich um die Familie gekümmert haben, werden kaum anerkannt

Ihr Studiengang ist der einzige reine Frauenstudiengang in Deutschland, der sich nicht einem der so genannten MINT-Fächer widmet ...

Genenger-Stricker: ... und er verfolgt eine andere Intention als diese. In den MINT-Fächern geht es vor allem darum, Frauen zu fördern, weil der Markt es erfordert: Weil der Bedarf an Fachkräften durch Männer nicht gedeckt wird, entwickelt man die verschiedensten Maßnahmen, bis hin zu naturwissenschaftlichen Angeboten in den Kindergärten. Wir dagegen haben die Frauen im Blick, die sich im Kontext der Familientätigkeit seit Jahren engagiert haben. Sie werden zwar in den Sonntagsreden aller Parteien gelobt, in der Praxis aber kaum anerkannt und wertgeschätzt.

Weil wir da – im Sinne des Lebenslangen Lernens – anknüpfen wollen, gehört zu den formalen Zulassungsbedingungen neben der Fachhochschulreife auch der Nachweis über bürgerschaftliches Engagement. Unser Studiengang ist für Frauen gedacht, die sich dafür interessieren, wie es ihren Mitmenschen geht, wie es mit der Gesellschaft weitergeht. Ich denke: Unsere Gesellschaft braucht solche Frauen, auch im sozialen Sektor, der leider nicht so hohe Anerkennung genießt wie der MINT-Sektor.

"Ja, es gibt auch Männer, die Familienaufgaben übernehmen, doch sie sind in der Minderheit."

Wie groß ist die Nachfrage nach Ihrem Studiengang?

Genenger-Stricker: Sehr groß, das ist ein Erfolgsmodell. Anfangs hatten wir noch erwartet, dass sich das nach einigen Jahren erledigen würde. Schließlich haben die Mädchen im Bildungsbereich aufgeholt. Doch es sind nach wie vor Frauen, die sich den Hauptaufgaben in der Familie stellen, und Frauen nehmen auch viel kürzer Elternzeit als Männer.

Es sind also nach wie vor die Frauen, die sich hauptsächlich beruflich zurücknehmen und dann in einer bestimmten Lebensphase sagen: ‚Das war nicht alles, ich will noch etwas Neues machen.‘ Viele unser Studentinnen waren schon im sozialen Bereich tätig, als Krankenschwestern oder Erzieherinnen zum Beispiel. Andere kommen aus dem kaufmännischen Bereich, aus der Verwaltung oder aus der technischen Beratung. Einige haben schon studiert, sind aber beruflich nicht am Ball geblieben und wollen jetzt noch einmal neu durchstarten. Übrigens ist es auch für uns als Lehrende spannend, dass die Gruppe so gemischt ist und dass jede Einzelne unterschiedliche Erfahrungen mitbringt, denn dadurch können wir die Theorien anders reflektieren.

Wie gut sind die Arbeitsmarktchancen für ihre Studierenden?

Genenger-Stricker: Sehr gut! Wenn unsere Studentinnen Praktika machen, bekommen sie in der Regel ein sehr gutes Feedback. Das erklären wir damit, dass sie Lebenserfahrung mitbringen. Während die jüngeren Absolventen eher in die Kinder- oder Jugendarbeit gehen, werden zum Beispiel in Schwangerschafts- oder Partnerschaftsberatungsstellen sowie in der sozialen Arbeit mit älteren Menschen eher Absolventinnen mit Lebenserfahrung gesucht. Dass es sich um einen Frauenstudiengang handelt, steht übrigens nicht im Abschlusszeugnis. Denn wir wissen ja nicht, ob die Arbeitgeber womöglich die Fantasie haben, ein solcher Studiengang sei nicht gleichwertig.

Sie sagen, dass Ihr Studiengang ein Erfolgsmodell ist. Warum haben andere Hochschulen das noch nicht übernommen?

Genenger-Stricker: Das ist auch für uns schwer nachvollziehbar. Aber natürlich bedeutet das Modell für die Lehrenden auch, dass sie jeden zweiten Samstag gefordert sind. Auch unsere Kollegen wünschen sich das nicht. Aber weil es eine interessante, andere Lehre ist, nehmen wir die ungünstigen Arbeitszeiten gerne in Kauf.

Es gibt aber doch auch Familien, in denen sich der Mann vornehmlich um die Familienaufgaben kümmert. Ist es nicht kontraproduktiv, diese Männer aus dem Studiengang auszuschließen?

Genenger-Stricker: Ja, es gibt auch Männer, die Familienaufgaben übernehmen, doch sie sind in der Minderheit. In der Mehrheit sind es Frauen und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gibt es die Möglichkeit der positiven Diskriminierung: Damit lassen sich Sondermaßnahmen für Gruppen legitimieren, die immens benachteiligt sind.

Ich persönlich finde: Es ist noch nicht an der Zeit, dass man sagen kann, die Problematik gelte gleichermaßen für Frauen wie für Männer. Deshalb halte ich es nicht für gerechtfertigt, den Studiengang zu öffnen. Schließlich hat es auch etwas Besonderes, als Frauengruppe zu studieren, weil so andere Reflexionen und Diskussionen ablaufen, die für uns einen besonderen Wert haben.

Vielen Dank für das Interview!

Arbeitsmarkt-Stellen-Soziale-ArbeitDas Interview ist im arbeitsmarkt Bildung, Kultur, Sozialwesen erschienen. Jede Woche bieten wir eine Übersicht von mehreren hunderten aktuellen Stellen für Geistes- und Sozialwissenschaftler. Außerdem berichten wir in ausführlichen Analysen über die beruflichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und über berufliche Lebenswege von Akademikern. 

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