
Ausgebrannt
Burn-out schlägt in der Regel nicht auf einmal ein, sondern entwickelt sich über Stadien hinweg. Für Betroffene und ihre Kolleg*innen bleibt daher oftmals noch etwas Zeit, zu agieren und eine vollständige Ausformung zu verhindern.
Text: Maria Köpf
Vermutlich hatten viele schon folgenden oder ähnliche Gedanken: „Ich brauche eigentlich dringend eine Pause, aber wenn ich schon wieder fehle, muss mein Team die ganze Arbeit alleine stemmen.“ Auf der Arbeit kann über kurz oder lang einiges auf einmal anstehen.Rückt die Deadline näher und stehen auch noch der Projektbericht und der Relaunch der Webseite an, raucht beruflich bereits der Kopf. Kommen dann noch die Pflege der Eltern, der nachts ständig laute Nachbar und die Vermieterin inzu, die plötzlich Eigenbedarf anmeldet, dann ist das Fass schnell voll. Sind diese Phasen zeitlich begrenzt, also innerhalb einiger Tage oder Wochen auch wieder vorbei, spricht die Wissenschaft von sogenanntem akutem Stress." Dieser ist im Moment selbst vielleicht unangenehm, kann aber auch dazu führen, dass man zu Hochform aufläuft, nach dem Motto: Das ziehe ich jetzt durch!
Das Stresslevel steigt
Doch insbesondere in der Arbeitswelt werden die Pausen zwischen diesen akuten Anforderungen an Fachkräfte immer kürzer. Und so mehreren sich auch die Berichte über dauerhafte Überforderung am Arbeitsplatz. Seit etwa 10 Jahren zeigt sich der Stress-Mittelwert in der Schweiz beispielsweise deutlich höher als noch 2014, vor zwei Jahren überschritt der Job-Stress-Index sogar erstmals die 30-Prozentmarke. Dazu sollen neben dem Arbeitsleben auch Belastungen durch die Pandemie beigetragen haben. Aufgrund dieser Entwicklungen über die Jahre sah sich der Bundestag 2013 sogar gezwungen, das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) anzupassen: Arbeitgeber sind seit daher verpflichtet, ihre Mitarbeiter*innen vor psychischen Gefährdungen zu schützen. Somit haben Betriebs- und Personalräte nun bezüglich der Gefährdungsbeurteilungen der Angestellten weitreichendes Mitbestimmungsrecht, das sie auch zum Handeln verpflichtet.
Das Problem ist bekannt: Aus „work hard or go home“ wird schnell „work hard and burn out“. Jede*r fünfte Arbeitnehmer*in in Deutschland erfährt Burn-out-Symptome und/oder hat ein hohes Risiko. Zu diesem Ergebnis kommen sowohl eine Studie des McKinsey Health Institute (MHI) als auch eine der Krankenkasse Pronova BKK. Für betroffene sowie außenstehende Fachkräfte ist es daher hilfreich, Ursache und Verlauf des Überlastungs-Syndroms zu kennen. Über ersteres informiert die Initiative „Gesund.bund“ des Bundesministeriums für Gesundheit: „Zu den Ursachen gehören oft dauerhafte Über- oder Unterforderung, ständiger Zeitdruck, Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten.
Ein weiterer Grund kann extreme Einsatzbereitschaft sein, die zur Vernachlässigung eigener Bedürfnisse führt. Folgen von beruflichem Stress sind ein häufiger Grund für Krankschreibungen.“ Dabei ist der Ausdruck „dauerhaft“ hier das Schlüsselwort. Denn im Vergleich zu akutem Stress, kann die chronische Variante gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen wie zum Beispiel Schlafstörungen, Müdigkeit, Appetitmangel, Bluthochdruck, Konzentrationsschwäche, Infektanfälligkeit, Migräneattacken, Magen-Darm-Entzündungen, Tinnitus und depressiven Verstimmungen. Ein Besuch bei einem Arzt oder einer Ärztin ist daher immer empfehlenswert, sollte Stress auf Dauer überhandnehmen.
Reagieren, wenn es zu viel wird
Doch Betroffene haben je nach Phase des Burn-outs Handlungsspielraum zur Selbsthilfe. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) empfiehlt als eine Maßnahme, berufliche und private Aufgaben in „dringend“ und „notwendig“ zu kategorisieren. Für die nächsten sechs Monate sollen dann nur noch wenige Prioritäten formuliert werden. So werden recht akut Zeitfresser und Stressmacher abgestellt und Entlastungen gefunden. Auch das berühmte Abgeben verschafft wieder mehr Luft – ob im Beruflichen an Kolleg*innen oder im Privaten an Familienmitglieder und Bekannte. Ein absolutes Muss ist das Neinsagen, denn ist der Tag schon voll, geht einfach nicht noch mehr rein.

Je nachdem wir ausgeprägt ein Burn-out bereits ist, kann es für betroffene Fachkräfte schwer sein, Selbsthilfetipps wie diese umzusetzen. Besonders herausfordernd gestaltet sich die Situation, wenn private und berufliche Stressoren ineinandergreifen. Dann sind Kolleg*innen gefragt, für Burn-out allgemein und die Belastungen anderer im Arbeitsumfeld sensibel zu sein.
Dabei kann Wissen über die zwölf Stadien eines Burn-out helfen, die allerdings nicht immer in der dargestellten Reihenfolge auftreten müssen, es aber häufig tun. Erste Anzeichen, dass beim Gegenüber etwas nicht stimmt, sind zum Beispiel starkes Engagement in ohnehin ausgeprägten Arbeitsphasen sowie ein steigendes Maß an Perfektionismus. Der Vergleich zu anderen Kolleg*innen ermöglicht hier eine Einschätzung: Während andere nach Wochen der Arbeitsbelastung langsam abbauen, holt der eine oder die eine Kolleg*in nochmal neu aus, um so richtig los zu legen.
Spätestens, wenn Fachkräfte sich charakterlich verändern, zum Beispiel nicht mehr mit zum Mittagessen kommen, ihre Hobbys und auch ihr Äußeres vernachlässigen, sollten Kolleg*innen hellhörig werden. Die erste Maßnahme: das Gespräch unter vier Augen mit der Person suchen. Dabei sollten sie jedoch von vorschnellen Diagnosen („Das ist Burnout. Geh zum Arzt“) und gut gemeinten Ratschlägen („Vielleicht einfach mal wieder mehr Sport machen“) absehen. Vielmehr geht es darum, beim Gegenüber die eigene Sorge zum Ausdruck zubringen und zur Selbstreflexion anzuregen. Das kann zum Beispiel mit gelingen wie: „Mir ist aufgefallen, dass du nicht mehr mit uns zum Essen kommst. Wie geht es dir denn gerade eigentlich?“ oder etwas konkreter „Ich habe das Gefühl, du stehst in letzter Zeit etwas neben dir. Deshalb mache ich mir ein wenig Sorgen um dich. Bist du gerade sehr gestresst?“
Da sein, ohne zu entmächtigen
Lassen sich Fachkräfte auf ein solches Gespräch ein, sollten sie zwei Dinge im Kopf haben: Sich im Eskalationsfall selbst abzugrenzen und nicht zu vergessen, dass sie kein Psychologe oder keine Psychologin sind und deshalb keine Diagnosen stellen können und sollten (außer sie zählen zu dieser Berufsgruppe). Es geht nicht darum, der betroffenen Person Aufgaben direkt abzunehmen, sondern auf die Verhaltensveränderung hinzuweisen und gegebenenfalls Anlaufstellen für erste Hilfe zu nennen. Der Hinweis auf einen Besuch beim Hausarzt oder der Hausärztin zeigt an, dass Fachkräften die nötigen Kompetenzen für eine genaue Beurteilung fehlen, aber es eben Expert*innen dafür gibt. Das mag banal klingen, aber getrimmt vom Leistungsfokus der Gesellschaft gehen viele Betroffene auch im fortgeschrittenen Stadium davon aus, dass sie sich einfach nur mehr anstrengen müssten und dann würde alles wieder gut werden.
Sehen sich Unternehmen aber nach einer guten Betriebskultur um, ist viel gewonnen, um zumindest im beruflichen Umfeld auf eine gute Prävention zu setzen. Wichtig ist eine Atmosphäre, die Fehler zulässt, ohne abzustrafen. Auch Ziele müssen eindeutig benannt und erreichbar sein, Kompetenzen eindeutig festgelegt und Entscheidungswege klar verankert, sodass Fachkräfte auch in anstrengenden Zeiten Rückendeckung erhalten und sich auf ihr Team verlassen können.
Auf sich selbst aufpassen
Fachkräfte selbst können sich selbst vor einem Burnout mit einer guten Achtsamkeitsstrategie schützen. Dazu zählt unter anderem auch, die berufliche Erreichbarkeit zu limitieren und sich ausreichend Zeit für sich selbst zu nehmen. Stehen familiäre Herausforderungen an wie die Pflege eines Angehörigen oder auch die Kindeserziehung scheint letzteres zwar unmöglich, ist jedoch umso wichtiger. Wer privat sowie beruflich stark eingespannt ist, sollte Zeit für sich nicht als „Das klappt eh nicht“ abtun, sondern immerhin die kleinen Momente nutzen: die fünf Minuten an der Bushaltestelle nicht aufs Smartphone schauen, vor dem Schlafen gehen eine halbe Stunde früher den Fernseher aus machen und in sich hinein hören oder morgens nicht abgehetzt, sondern mit Blick für die Umgebung zur Arbeit radeln. All das ist kein Allheilmittel für die etwaigen Probleme, aber es gibt Menschen, die sich ohnehin überlastet fühlen, ein wenig Selbstwirksamkeit zurück.
Aber auch mit der besten Selbstfürsorge kann eine Fachkraft an Burn-out erkranken. Schließlich liegen gerade im beruflichen Umfeld viele Dinge außerhalb des eigenen Handlungsraums. Weiterhin kann das Überlastungs-Syndrom aber auch die Folge einer anderen psychologischen Störung sein wie zum Beispiel Depressionen oder einer Angststörung. Deshalb zählt auch der Besuch beim Arzt oder bei der Ärztin als Prävention. Wer sich permanent überlastet fühlt, sollte mit einer Person sprechen, die die Unterschiede der einzelnen Erkrankungen kennt.