
Die Natur laufen lassen
Naturbasierter Umweltschutz nutzt natürliche Prozesse zur Erhaltung von Ökosystemen – und ist damit für Fachkräfte ein attraktives Tätigkeitsfeld.
Text: Maike von Haas
Expert*innen, Medien und Aktivist*innen weisen ununterbrochen auf die bevorstehenden Konsequenzen des Klimawandels hin. Viele davon sind heute schon als Dürren, Starkregenereignisse und Stürme erlebbar. Naturbasierter Umweltschutz sieht sich als Gegenspieler, um diese Dynamiken aufzuhalten – oder gar umzudrehen. Er ist ein Teil des Umweltschutzes, der im Zuge des Klimawandels stärker in den Fokus rückt und das Ziel verfolgt, Ökosysteme zu schützen und wiederherzustellen. Dabei geht es um Wasserrückhalt, Kohlendioxid-Speicherung und um die Verbesserung der Luft- und Wasserqualität. Naturbasierte Lösungen fördern die Biodiversität und auch das Wohlbefinden in Städten, da sie zur Erholung und Gesundheit der Menschen beitragen. Und nicht zuletzt geht es um Katastrophenvorsorge.
Der Professor für Nature Conservation an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) in Brandenburg, Dr. Pierre L. Ibisch, ordnet den Ursprung des Begriffs „Naturbasierter Umweltschutz“ in den internationalen Diskurs ein. Es gäbe zum Beispiel Ökosystembasierte Klimawandelanpassung oder Natürlichen Klimaschutz. Pierre L. Ibisch ist außerdem Mitbegründer des Centre for Econics and Ecosystem Management an der HNEE, in dem unter anderem nach den Funktionen und Leistungen von Ökosystemen im globalen Wandel geforscht wird. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf Waldökosystemen und deren Funktionsfähigkeit und Erhaltung. „Die Maßnahmen, die hier gefragt sind, sind der Wissenschaft längst bekannt, und seit kurzem gibt es auch in Politik und Gesellschaft ein immer größeres Bewusstsein dafür, dass die Ökosysteme Teil der Lebensgrundlage sind, ohne die wir langfristig so nicht mehr (über-) leben können“, sagt Pierre L.Ibisch. Dafür müssten etwa Moorböden, die für Landgewinnung weichen, wieder vernässt werden, Bäume in Wäldern müssten wieder altern dürfen oder Fließgewässern sollten wieder Raum erhalten, um Rückstauflächen zu gewinnen und Überflutungen von besiedelten Gebieten zu verhindern. „Ein guter Umgang mit der Natur bietet im Rahmen von Klimaschutz effektive und kostengünstige Lösungen“, erklärt Pierre L. Ibisch.
Von Start-up bis Kommune
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) hat laut einer Pressemitteilung im Jahr 2023 für das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) vier Milliarden Euro bereitgestellt. „Eine so hohe Summe – vier Milliarden Euro – hat in einem vergleichbaren Zeitraum noch nie für Naturschutz zur Verfügung gestanden, und damit ergeben sich auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten“, sagt Pierre L. Ibisch Hier sind kreative Ideen gefragt und für deren Umsetzung sind Experten*innen, insbesondere Absolvent*innen der Fachrichtungen Umweltmanagement oder -schutz, Geografie, Landschaftspflege, -planung oder -ökologie, Biologie, Geografie, Agrarwissenschaften, Nachhaltigkeitswissenschaften oder Naturschutz. Aber es werden nicht nur Fachkräfte aus naturwissenschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Fachrichtungen gebraucht, sondern auch aus kommunikationswissenschaftlichen, denn der Dialog mit Betroffenen, mit Politik und der Öffentlichkeit muss gleichfalls entwickelt und begleitet werden. Es braucht hier Menschen, die Lust haben, sich für den Klimaschutz zu engagieren und die in Start-Ups arbeiten, bei Kommunen, in wissenschaftlichen Einrichtungen und bei Unternehmen, die Naturschutz auf ihre Fahnen geschrieben haben und hier möglicherweise auch investieren.
Hier gibt es bereits Einrichtungen und Betriebe, die in den verschiedenen Feldern des naturbasierten Umweltschutzes aktiv sind. So hat das Unternehmen Woodify, das in Kooperation mit dem Institut von Pierre L. Ibisch arbeitet, und das Wäldern die Erholung ohne Holznutzung erlaubt, seine Erfahrungen aus Beratungs- und Managementtätigkeit in Blue-Chip-Unternehmen, Strategieberatung, Wirtschaftsprüfung, Immobilienunternehmen, Regierungsorganisationen oder der Weltbank gebündelt. Das Team hat ein ganz neues Unternehmen gegründet, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Klima zu schützen. Mit Unterstützung der Rhein-Nahe Verbandsgemeinde wird laut der Webseite auf einer 330 Hektar großen Waldfläche die Nutzung des Waldes über 30 Jahre ausgesetzt, „um der Natur Raum zur Entfaltung ihres vollen Ökosystempotentials zu geben.“
Umweltfachkräfte können im Moorschutz nach einer Stelle Ausschau halten, zum Beispiel im Bereich Paludikultur. Dahinter verbirgt sich die land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Moorstandorte. In der Forschung wird nach möglicher Nutzung von Pflanzen gesucht, die auf Mooren wachsen. Traditionell ist der Anbau von Röhrichten für Dachreet bekannt, aber auch die Kultivierung von Pflanzen zur Energiegewinnung aus Biomasse ist hier möglich oder der Anbau von Torfmoosen als Torfersatz für Kultursubstrate im Gartenbau. Hier ist das Greifswald Moor Zentrum aktiv, das sich laut eigener Website als Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis in allen Moorfragen einordnet. Gesucht werden hier zurzeit für die Forschungsgebiete Moorschutz und Paludikultur drei wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit einem Abschluss in Landschaftsökologie, Biologie, Agrarwissenschaften oder vergleichbaren Fachgebieten.
Der Verein Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord e. V. möchte die Leitung des „Fachbereichs Klimaschutz und Klimaanpassung“ neu besetzten und sucht daher nach Bewerber*innen mit einem erfolgreich abgeschlossenen Studium in einer relevanten Fachrichtung wie beispielsweise Geografie, Umweltwissenschaften, Forstwissenschaften, Raumplanung oder eine vergleichbare Qualifikation. Und das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) des Landes Brandenburg sucht einen Sachbearbeiter*in (w/m/d) „Moorschutz“ mit einem erfolgreich abgeschlossenen Fachhochschul- oder Bachelorstudium in einer einschlägigen Fachrichtung. Natürlich ist Natur- und Klimaschutz ein weltweit relevantes Thema: Wer mit einem Abschluss in Forst- oder Umweltwissenschaften aufwarten kann, sich auf ein Trainee-Programm einlassen und in Abidjan in der Elfenbeinküste arbeiten möchte, kann sich bei der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH als EZ-Trainee (m/w/d) für Wiederbewaldung und Agroforstwirtschaft bewerben.
Die Zeit läuft
„Werden Wälder wieder ihrer natürlichen Entwicklung überlassen, verbessern sich die Böden und füllen sich die Wasser- und Kohlenstoffspeicher wieder auf. Zudem ist Wald eine nennenswerte Quelle für Kühlung an heißen Tagen, sagt Pierre L. Ibisch. Auch hier gibt es bereits Beispiele für Unternehmensgründungen, die ein Vorbild sein können, wie beispielsweise das Startup „Forest Gum“, das nicht nur plastikfreies Kaugummi auf den Markt bringt, sondern mit dem Projekt „Wildwuchs“ im Rheinland als Beitrag zum naturbasierten Umweltschutz auf einem Gebiet von 100 Hektar die natürliche Verurwaldung ermöglicht.
„Es gibt genug Felder, für die sich Menschen engagieren können und es werden“, so Ibisch, im Rahmen von naturbasiertem Umweltschutz neue Unternehmen entstehen. Damit einhergehend gäbe es einen hohen Bedarf an Menschen, die Ideen entwickeln und kreativ umsetzen, die Wirtschaftlichkeitsberechnungen machen, die beraten und Projekte steuern können: „Hier entstehen ganz neue Berufe, deren Grundlagen wir auch hier an der HNEE vermitteln wollen, zum Beispiel mit dem neuen Studiengang Sozialökologisches Waldmanagement. Wir bilden dafür Waldmanager aus, die neue Trends setzen und umsetzen können und neue Möglichkeiten und Netzwerke bilden.“ Pierre L. Ibisch‘ Fazit zum Thema Naturbasierter Umweltschutz ist klar und eindeutig: „Entweder lernen wir schnell, dass wir unsere Ökosysteme wiederherstellen müssen, oder wir gehen noch tiefer in die Klimakrise hinein und haben dann auch keine Ökosysteme mehr, die uns retten können. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.“
Fachkräfte im und mit Interesse am naturbasierten Umweltschutz können sich über das Zentrum Klimaanpassung weiterbilden. Im Auftrag des BMUV und des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) und adelphi consult zählen Fortbildungen sowie Beratungen zur Umsetzung und Förderberatung zum Angebot. Auch der Austausch mit Fachkolleg*innen über eine Plattform ist möglich. Zielgruppe sind Kommunen – Verwaltung, Politik und Aufgabenträger – sowie weitere kommunale Akteur*innen und Träger*innen sozialer Einrichtungen. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hingegen stellt Forschungsergebnisse und Daten zu Natur und Landschaft bereit, und fördert und betreut Naturschutzprojekte sowie Forschungsvorhaben und berät politisch Verantwortliche. Dahingegen geht es bei der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg um den Branchenaustausch. Auf der Webseite listet das BfN Fachtagungen und Fortbildungen, die online und in Präsenz im Bundesland angeboten werden. Zielgruppe sind Ehrenamtliche und Fachkräfte in zum Beispiel Gutachter- und Planungsbüros, Naturschutz-, Landwirtschafts-, Wasser- und Forstbehörden.