
Sprechen über das große Ganze
Gott und Glaube – ein universelles Thema. Wie kann die Kirche die Kommunikation darüber auf moderne, digitale Wege runterbrechen? Und welchen Nutzen können andere daraus ziehen? Medienunternehmer Tobias Sauer gibt Antworten.
Interview: Christine Lendt

WILA Arbeitsmarkt: Herr Sauer, wie kann man komplexe, umfangreiche Glaubensinhalte digital „übersetzen“?
Tobias Sauer: Bevor man komplexe Glaubensinhalte digital übersetzen kann, ist es wichtig, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu wissen, worüber man reden möchte. Um diese Inhalte digital zu präsentieren, kann man das sogenannte Contentdreieck nutzen. Es besteht aus drei Säulen: Entertaining, Relatable und Valuable.
Mit Entertaining ist die Möglichkeit gemeint, die Zuhörenden oder Lesenden zu begeistern und zu faszinieren. Dabei geht es oft um unerwartete oder außergewöhnliche Inhalte, die einen zum Staunen bringen. Ein Beispiel dafür wäre etwa das Projekt ‚Nerv mich nicht mit Fakten‘, welches FunFacts aus Theologie, Religion, Christentum und Kirche auf Instagram präsentiert.
Relatable bedeutet, dass komplexe Glaubensinhalte in einen Kontext gebracht werden, der für das Leben der Zuhörenden oder Lesenden relevant ist. Hier geht es darum, den Inhalt so zu präsentieren, dass er auf das Leben der Menschen übertragbar ist und in ihrem Alltag Anwendung findet. Dies macht beispielsweise das Projekt ‚Es war nicht immer einfach‘. Dort erzählen Heilige aus der Ich-Perspektive von ihrem Leben – und dies in einer Art und Weise, die sie nah an eigene Alltagserfahrungen heranrückt.
Valuable meint, dass die Inhalte einen Wert für die Zuhörenden oder Lesenden haben sollten. Dabei kann es sich sowohl um emotionale Berührungspunkte handeln als auch auch um die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten. Dazu zählen viele unterschiedliche Andachtsformate wie zum Beispiel von Josephine Teske oder auch das Projekt InstaPuls.
Insgesamt muss ein Contentbeitrag nicht nur auf einer Säule bleiben, sondern kann auch kombiniert werden. Durch die Verbindung dieser drei Säulen lassen sich komplexe Glaubensinhalte digital vermitteln und für die Zielgruppe aufbereiten.
Mit ruach.jetzt initiieren, beraten und begleiten Sie Projekte der Glaubenskommunikation und Kirchenentwicklung. Welche Vorteile haben digitale Kanäle für die Kirchen oder andere Institutionen?
Ein Zeichen der Digitalisierung ist, dass Informationen nicht mehr nur an einem Ort wie in Bibliotheken, Büchern oder bei Menschen gespeichert sind, sondern prinzipiell von überall abgerufen werden können. Meist stehen daher nicht mehr Orte, sondern Themen im Fokus. Wo eine Person sitzt, die gute Arbeit macht, ist fast schon egal, denn digitale Kanäle ermöglichen die ortsunabhängige Kommunikation auch durch Personen. Musste ich Anfang der 2000er Jahre noch auf die Sendungen warten, in denen mein Lieblings-Comedian auftrat oder darauf warten, bis er oder sie in meiner Stadt spielte, so kann ich der Person jetzt bequem bei Instagram oder Tiktok folgen und bleibe so unabhängig vom Ort im Kontakt.
Außer der Tatsache, dass ich Inhalte suchen und mir passende Informationen ziehen kann, ist es durch den Boom der Social-Media-Plattformen auch möglich, Inhalte zu pushen. Das bedeutet: Nur dadurch, dass man ein Thema gut bespielt, bekommen Menschen auf der jeweiligen Plattform etwas davon mit. Communitys bauen sich durch gute Inhalte auf. Das ist eine sehr gute Nachricht, denn es bedeutet, dass der eigene Fokus auf der Erstellung von guten Inhalten liegen kann.
Gibt es vielleicht auch Nachteile, insbesondere für die von Tradition geprägten Kirchen?
Die Art und Weise, wie sich die Gesellschaft durch die Digitalisierung gewandelt hat, stellt die kirchliche Struktur, und damit auch ihre Kommunikation, vor große Herausforderungen. Noch vor 40 Jahren hatten Kirchen einen festen Sitz in der Mitte der Gesellschaft und hatten allein durch Sozialisation und territoriale Präsenz genügend Möglichkeiten, um in Kontakt mit den Menschen zu treten. Und wenn dieser Kontakt nicht immer wertschätzend war, dann war das auch nicht so schlimm, weil es genügend weitere Kontakte gab.
Aber Beziehungen entstehen heute vermehrt digital, denn Menschen gehen nicht mehr online, sie sind es. So stellt eine ARD/ZDF-Onlinestudie fest: Menschen lernen sich über Tinder kennen, pflegen Freundschaften über Whatsapp, partizipieren am Leben ihrer Vorbilder durch Instagram und bleiben im Kontakt durch E-Mails. Territoriale Angebote haben es zunehmend schwerer: Egal, ob es der Einzelhandel gegenüber dem E-Commerce ist, der Musikverein gegenüber Youtube-Lernvideos oder eben die Kirchengemeinde gegenüber christlichen Content-Creator*innen. Die kirchliche Struktur baut aber leider immer noch sehr stark auf einer territorialen Logik auf, die Angebote bietet, zu denen die Menschen kommen sollen.
Könnte es soweit kommen, dass digitale Kanäle analoge Angebote komplett ablösen?
Ich denke nicht, dass das Einkaufen vor Ort völlig an Bedeutung verliert. Es ist auch immer noch beliebt, gemeinsam Musik zu machen oder zu beten, da die Menschen soziale Wesen sind und die wohl meisten von ihnen den analogen Kontakt schätzen. Selbst in einer digitalisierten Welt bleibt es so.
Jedoch ist zu beobachten, dass sich Menschen viel später in diesem Prozess zeigen. Ein Großteil des Beziehungsaufbaus funktioniert dort anonym. Vielleicht kennen Sie das auch: Sie suchen zum Beispiel eine neue Sportart. Früher sind Sie möglicherweise direkt zum Sportverein gegangen und haben sich die Angebote angesehen. Heutzutage wird zunächst gegoogelt, Youtube-Videos werden angeschaut und möglicherweise entdecken Sie dabei einen Sport, an den Sie zuvor gar nicht gedacht hatten. So bietet die digitale Welt eben auch viele Vorteile, weil sie es ermöglicht, Aktivitäten kennenzulernen, die man sonst vielleicht nicht entdeckt hätte.
Wie sollten digitale, analoge und gegebenenfalls auch persönliche Kommunikation miteinander kombiniert werden?
Die ideale Kombination aus digitaler, analoger und persönlicher Kommunikation hängt immer von der Zielgruppe ab. Generell gilt aber: Digitale Kanäle eignen sich gut für die Vermittlung von Informationen und die Ansprache neuer Zielgruppen. Analoge und persönliche Kommunikation eignet sich besser für den Aufbau von Beziehungen und – konkret bei den Kirchen – die Vertiefung des Glaubens.
Eine gute Kombination könnte also sein: Veranstaltungen und Gottesdienste vor Ort, begleitet von einer aktiven Social-Media-Präsenz und von digitalen Angeboten wie Podcasts oder Youtube-Kanälen. Dabei sollte man nicht immer nur den Blick auf digitale Kanäle richten. Ein Brief erreicht eine jugendliche Person wahrscheinlich viel eher als der 10.000ste Instagram-Kanal. Die Wahl des Kanals darf nie den Inhalt ersetzen. Für jede Zielgruppe und jede inhaltliche Ausrichtung gilt es den richtigen Kanal zu finden – analog wie digital.
Welche Kanäle eignen sich aktuell besonders gut, um mit digitaler Kommunikation zu beginnen?
Prinzipiell sollte man mit dem Kanal beginnen, den man wahrscheinlich am besten bedienen kann. Was bringt jemandem ein Podcast, wenn er seine eigene Stimme nicht mag oder Tiktok, wenn er nicht vor der Kamera stehen will? Unabhängig davon lässt sich sagen, dass Instagram aktuell die größte Bandbreite abdeckt, sowohl bei den Zielgruppen als auch bei den Formaten. Jede Plattform bringt ihre eigenen Stärken und Schwächen mit sich. So bietet Facebook die Möglichkeit für längere Texte, Veranstaltungshinweise und Diskussionen, aber mittlerweile mit einer Zielgruppe ab 40 Jahren.
Youtube bietet die Möglichkeit für Videoinhalte und Livestreaming von Predigten, Vorträgen und Gottesdiensten, wobei darauf zu achten ist, dass die Videos für die Plattform optimiert sind, da man sonst das Potenzial dieser Plattform nicht ausnutzt. Podcasts eignen sich sehr gut für Gespräche, Interviews und theologische Themen – eben alles, was tiefer in ein Thema eintaucht. Die Herausforderung bei Podcasts besteht darin, sie für die Zielgruppe auffindbar zu machen. Es gilt: Podcasts wachsen langsam, aber loyal.
Warum sollten auch die Kirchen digitale Kommunikationskanäle nutzen?
Ich wüsste keinen Grund, wieso sie es nicht machen sollten. Die Aufgabe der Kirchen ist ja vor allem, daran zu arbeiten, dass die Welt ein gerechterer Ort für alle Menschen wird – in der eigenen Sprache der Gläubigen heißt dieser Ort zum Beispiel Paradies oder Reich Gottes. Und das können sie nicht alleine, sondern sind auf Menschen angewiesen, die diese Vision teilen. Menschen zu erreichen, sie zu inspirieren und letztendlich auch zum Handeln zu motivieren, ist das zentrale Anliegen der Kirchen. Die Basis dafür ist der Glaube daran, dass es etwas gibt, das nicht von dieser Welt ist und uns zum Guten leitet.
Bei der Nutzung von digitalen Kanälen wird immer die Frage gestellt, ob dies nun sinnvoll ist oder nicht. Bei dem Dorfplatz oder dem Schützenfest stellt sich niemand diese Frage. Ich würde sagen: Jeder Kommunikationsweg, der möglich ist, sollte erstmal auch in Betracht gezogen werden. Es lassen sich eben keine Beziehungen aufbauen, wenn man sich in sein Haus verschließt und keinen Kontakt eingeht.
Trotzdem tut sich Kirche mit der Nutzung digitaler Kanäle schwer: Woran liegt das denn?
Ich glaube, es liegt oft daran, dass man meint – und dies nicht nur bei kirchlicher Kommunikation – durch die Nutzung eines digitalen Kanals ließen sich die eigenen Kommunikationsprobleme lösen. Doch keine Predigt wird besser auf Spotify, kein Gemeindebrief lesenswerter im PDF-Format und keine Jugendarbeit besser oder schlechter durch Instagram. Nicht der genutzte Kanal ist also entscheidend für den Erfolg der Kommunikation, sondern die Reflexion der eigenen Botschaft auf die aktuellen gesellschaftlichen Voraussetzungen.
Was haben die Kirchen den Menschen eigentlich in der jetzigen Zeit zu bieten? Wo lösen sie einen Mangel auf? Wo unterstützen sie im Alltag? An welcher Stelle werden sie nahbar? Wo gibt es bereichernde Kontakte? Erst wenn ich weiß, wieso mein Angebot und ich relevant sein könnten, lohnt sich die Kommunikation und die Auswahl der Kanäle. Dies gilt für analoge Kanäle genauso wie für digitale.
Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
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