Knowhow aus dem Nachbarland
Das Erasmus-Jahr kennen viele aus dem Studium. Aber auch Fachkräfte der Erwachsenenbildung profitieren von dem europäischen Programm. Denn Bildungseinrichtungen können mit der Förderung Erasmus+ ihr Personal auf Erfahrungsreise schicken.
Text: Katrin Poese
Es ist einer der weniger bekannten Zweige des europäischen Austauschprogramms: Erasmus+ ermöglicht es Einrichtungen der Erwachsenenbildung, internationale Projekte zu starten, Partnerschaften zu schließen und Menschen auf Seminare oder zum Job-Austausch in kooperierende Länder zu entsenden. Von der Förderung machen nicht nur klassische Weiterbildungseinrichtungen Gebrauch: Auch Vereine, NGOs, Kulturzentren, Museen, Bibliotheken und andere Orte des Lernens können einen Antrag stellen. Gemeinsam haben die geförderten Projekte, dass sie die Idee verfolgen, Herausforderungen in der Bildungsbranche durch Austausch und Zusammenarbeit auf internationaler Ebene anzugehen.
Inspiration für digitale Bildung
Eines dieser internationalen Projekte ist die „Förderung digitaler Kompetenzen von Lehrkräften“, welches die Volkshochschule (VHS) Fichtelgebirge im bayerischen Selb koordiniert. Gemeinsam mit Partnereinrichtungen in Finnland, Schweden, Spanien und der Türkei arbeitet die VHS Fichtelgebirge an guten Lösungen für digitale Angebote sowohl in der Erwachsenenbildung als auch in der beruflichen Weiterbildung. Michaela Hermannsdörfer, Leiterin der EU-Projekte an der VHS, war erst im März zusammen mit Lehrkräften in Finnland unterwegs.
Dort hat sich die Gruppe gemeinsam mit 17 weiteren Lehrkräften aus den Partnerländern Bildungseinrichtungen angeschaut, die über digitale Angebote verfügen. „Vor allem der Norden Finnlands, der schwach bevölkert ist, ist ein Paradebeispiel für Digitalisierung. Dort findet fast alles an Bildungsangeboten online statt“, erklärt Michaela Hermannsdörfer. Besonders spannend: Im Partnerland Finnland kommen auch moderne Technologien wie Augmented Reality oder Virtual-Reality-Brillen zum Einsatz. Seit April dieses Jahres ist Michaela Hermannsdörfer im Ruhestand — doch der Erasmus-Funke ist derart auf sie übergesprungen, dass sie sich als Honorarkraft auch weiterhin für den Austausch und den europäischen Gedanken in Erasmus-Projekten engagiert.
Michaela Hermannsdörfer hat schon mehrere Anträge für das europäische Austauschprogramm eingereicht und von allen bisherigen Projekten profitiert. „Persönlich erweitert es meinen Horizont und bringt mir neue Ideen, die ich dann wieder in die Arbeit in der Volkshochschule mit einfließen lassen kann“, erklärt die studierte Sozialpädagogin mit Zusatzqualifikation in Betriebswirtschaft für soziale Einrichtungen.
Aus Sicht der Bildungseinrichtung beobachtet sie ebenfalls viele Vorteile: „Ich kann meine Lehrkräfte schulen und ihnen Erfahrungen ermöglichen, die sie zu Hause nicht machen könnten.“ Lösungen und Ideen aus den Auslandsaufenthalten werden an Kolleg*innen weitergegeben und auch mit anderen Volkshochschulen geteilt.
Chance für Bildungspersonal
Im Rahmen von Erasmus+ sind inhaltliche und didaktische Schulungen, eigene Lehrtätigkeiten oder das so genannte Job-Shadowing – das Lernen beim Über-die-Schulter-Schauen – im Ausland möglich. Beantragen kann die Förderung für solche Aufenthalte ausschließlich die Einrichtung selbst. Sie schickt im Rahmen der bewilligten Projekte Bildungspersonal zu Auslandsaufenthalten. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Lernende, zum Beispiel Personen mit geringen Bildungschancen, beteiligt werden.
Das Besondere an der Gruppe des Bildungspersonals: Nicht nur festangestellte Lehrkräfte können teilnehmen, sondern auch Teilzeit- und Honorarkräfte, Ehrenamtliche oder Verwaltungspersonal: „Alle, die damit zu tun haben, Bildungsangebote zu ermöglichen“, so fasst es die Teamleiterin des Bereichs Erwachsenenbildung bei der Nationalen Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NA beim BIBB), Claudia Laubenstein, zusammen. Die NA beim BIBB betreut die Bereiche Berufsbildung und Erwachsenenbildung des Programms Erasmus+ in Deutschland und ist damit die Anlaufstelle für interessierte Einrichtungen, die eine Erasmus+-Förderung beantragen möchten. Dafür bietet die NA Beratung zum Antragsprozess an.
Win-Win für alle
Nicht nur für Fachkräften selbst bietet der Besuch im Ausland mit Erasmus+ die Möglichkeit, in den eigenen Qualifikationen zu wachsen. Claudia Laubenstein kennt auch die positiven Auswirkungen des Programms für die entsendenden Institutionen: „Einrichtungen werden flexibler, schaffen einen Perspektivwechsel und entwickeln zum Beispiel neue Ideen dafür, wie man geflüchtete Menschen besser in Angebote der Erwachsenenbildung einbinden kann.“ So verpflichtet sich das Erasmus+-Programm dem Gedanken des lebenslangen, internationalen Lernens, von dem alle Beteiligten profitieren. Und das kommt bereits seit Langem an: So feierte das Bildungsprogramm Erasmus+ im Jahr 2022 seinen 35. Geburtstag.
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