Stellenwechsel mal anders
Jobrotation, das kann Unterschiedliches bedeuten: Zum Beispiel, dass zwei Kolleg*innen für eine bestimmte Zeit ihre Stellen tauschen. Oder dass eine Person zwischen verschiedenen Positionen wechselt. Warum das Ganze? Und wie funktioniert’s?
Text: Janna Degener-Storr
Dirk Ullendahl war bereits Führungskraft im Projektmanagement der Deutschen Bahn AG (DB), als er seinem Vorgesetzten im Personalentwicklungsgespräch eine Jobrotation anbot. Das Unternehmen hatte schon gute Erfahrung mit dem Modell gemacht: Zwei Führungspersönlichkeiten tauschen für eine gewisse Zeit die Stelle, damit sie einen anderen Bereich besser kennenlernen, ein tieferes Verständnis und mehr Fachexpertise entwickeln. Dirk Ullendahl war bislang zuständig für Infrastrukturprojekte.
Nun interessierte er sich für die Rolle des Leiters einer Einkaufsabteilung, die regional elektrotechnisches Material und entsprechende Bauleistungen für die Infrastruktur der DB beschafft. Auch der potenzielle Tauschpartner erklärte sich einverstanden, für sechs Monate die Aufgaben von Dirk Ullendahl wahrzunehmen. Nach mehreren Gesprächen, in die auch der Betriebsrat und die Personalabteilung einbezogen wurde, fiel die Entscheidung.
Die Jobrotation erlebte Dirk Ullendahl als persönliche Bereicherung. Heute – fünf Jahre später – hat er die Position seines damaligen Tauschpartners inne. „Als mein Tauschpartner die Stelle verließ, habe ich mich gleich beworben, denn sowohl der Vorgesetzte als auch die Belegschaft wussten bereits, dass ich der Aufgabe gewachsen war“, erzählt er. Für ihn sei dieser Perspektivwechsel eine wichtige Vorbereitung und Voraussetzung für weitere Karriereschritte.
Langfristige Planung sinnvoll
Jobrotation ist laut dem Gabler-Wirtschaftslexikon ein „systematischer Arbeitsplatzwechsel zur Entfaltung und Vertiefung der Fachkenntnisse und Erfahrungen geeigneter Mitarbeiter oder zur Vermeidung von Arbeitsmonotonie und einseitiger Belastung […], wobei i.d.R. nur der Tätigkeits- nicht aber der Entscheidungsspielraum erweitert wird.“ Von der Vorbereitung über die Durchführung bis zur Nachbereitung steckt einiger Aufwand in der Organisation einer solchen Jobrotation: So müssen zum Beispiel die Zuständigkeiten und Befugnisse geklärt und alle Beteiligten inner- und außerhalb der Institution informiert sein.
Dirk Ullendahl beispielsweise traf sich schon vier Monate vor dem ersten Arbeitstag auf der neuen Stelle mit seinem Tauschpartner sowie beiden Vorgesetzten, um die Vorbereitungen zu planen. Jeder informierte seine Belegschaft und bereitete eine formelle Übergabe seines Dienstpostens vor, in der die anstehenden Termine und die regelmäßigen Verpflichtungen festgehalten wurden. Auch die technischen Systeme mussten freigeschaltet werden. Der Projektmanager benannte einen Vertreter, der seinen Tauschpartner bei wichtigen fachlichen Gesprächen unterstützen sollte. Zudem nahm Dirk Ullendahl an Schulungen teil, um sich mit den Einkaufssystemen vertraut zu machen.
Mehr Sensibilität für beide Seiten
Zwei Wochen vor dem Wechseltermin organisierten Dirk Ullendahl und sein Tauschpartner ein Grillfest auf einer Baustelle, zu dem beide Belegschaften eingeladen waren, damit auch sie sich kennenlernen konnten. Der Kontakt zu seinem Tauschpartner war schon in dieser Vorbereitungszeit sehr intensiv, erzählt er: „Ich nahm ihn auch mit in Gespräche, um ihn unseren Stakeholdern vorzustellen.“ In der ersten Zeit auf dem neuen Posten reiste Dirk Ullendahl an verschiedene Standorte, um die gesamte Belegschaft und die wichtigsten Kunden kennenzulernen. Und auch später blieb er immer im engen Dialog mit seinem Tauschpartner. „Wenn wir Fragen hatten, riefen wir uns an.“
Dirk Ullendahl erinnert sich gerne an seine Jobrotation zurück: „Zu dem Zeitpunkt war ich schon etwa zwanzig Jahre in der Rolle eines Disziplinarvorgesetzten. Trotzdem war es spannend, wieder mit neuen Persönlichkeiten zu tun zu haben“, sagt er. Der Einkauf stelle aus Sicht des Projektmanagements eine Dienstleistung dar, und die Jobrotation habe ihm eine neue Sensibilität im Umgang miteinander gegeben.
Er erklärt: „Wenn es eine Störung im Terminplan gibt, braucht das Projektmanagement oft schnell eine andere oder angepasste Leistung, die auf der Baustelle benötigt wird. Aus Sicht des Einkaufs funktioniert das aber nicht immer, weil alle Leistungen nach einem vorgegebenen Vergabeverfahren ausgeschrieben werden müssen. Wenn man beide Seiten selbst erlebt hat, kann man gegenüber der Belegschaft besser erklären und verständlicher rüberbringen, woran es hakt.“
Raus aus der Komfortzone
Dirk Ullendahl schätzt die Herausforderung und ist damit keine Ausnahme – ganz im Gegenteil: Arbeitnehmer*innen sind sehr interessiert daran, über den Tellerrand zu blicken. Der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom e.V. versteht unter Jobrotation das regelmäßige Wechseln der Arbeitsaufgaben und hat im vergangenen Jahr eine Umfrage unter 1.502 Erwerbstätigen dazu durchgeführt. Ergebnis: Ein Fünftel sind „voll und ganz“ der Meinung, dass Jobrotationen regelmäßig stattfinden sollen. 49 Prozent der Befragten stimmen dem „eher“ zu. Aber: Auch rund ein Viertel ist „eher nicht“ oder „nicht“ der Meinung, dass die Arbeitsaufgaben regelmäßig gewechselt werden sollen.
Das Personalentwicklungsunternehmen Personio plädiert in seinem „HR-Lexikon“ dafür, Jobrotation in möglichst vielen Hierarchie-Ebenen anzubieten – vom Trainee über die Fachkraft und den Führungsnachwuchs bis zur Führungsetage. Dabei gibt es verschiedene Abstufungen der Rotation. Der Wechsel kann wie im Beispiel der DB auf der Ebene von Organisationseinheiten und Abteilungen stattfinden oder auch innerhalb von Teams. Im sogenannten „Job Swapping“ werden, wie das bei Dirk Ullendahl der Fall war, die Rollen und Aufgaben eins zu eins getauscht. Dafür müssen beide Teilnehmer*innen vergleichbare Fähigkeiten und Qualifikationen haben.
Eine weitere Möglichkeit ist das sogenannte Job Visiting, bei dem der Arbeitsplatzwechsel nicht vollständig stattfindet, sondern in Teilzeit. Der oder die Mitarbeiter*in erledigt teils Aufgaben im eigenen Bereich, teils in einem anderen Tätigkeitsfeld. Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel von Markus Essel (Name von der Redaktion geändert). Er arbeitet in der Privatkundenberatung einer Bank, ist aber zwei Tage pro Woche im Team der Wertpapierspezialisten. Diese Fachkräfte verbringen viel Zeit mit Recherchen und können so den Kundenberatern und -beraterinnen Input zu speziellen Fragen über Wertpapiere liefern.
Die Jobrotation läuft nun seit drei Monaten. Das Arbeiten an zwei Arbeitsplätzen sei praktisch leicht umzusetzen, so Markus Essel, weil er einfach seinen Laptop am jeweiligen Schreibtisch einstecken kann. Herausfordernd findet er es jedoch, den Anforderungen beider Stellen gerecht zu werden, die jeweils sehr arbeitsintensiv sind. Die Jobrotation führt dazu, dass er sich immer wieder klar abgrenzen muss, wenn sich seine Kolleginnen und Kollegen aus der Privatkundenberatung mit ihren Anliegen an ihn wenden, obwohl er gerade in der anderen Abteilung eingesetzt ist.
Trotz dieses Balanceaktes liegen die beruflichen Vorteile auf der Hand: Markus Essel sammelt fachspezifisches Wissen, direkt aus der Praxis und parallel zu seiner eigentlichen Tätigkeit. „Ich konnte mein Kompetenzprofil erweitern, ohne mich sofort für einen kompletten Stellenwechsel entscheiden zu müssen“, betont er. Gerade für Fachkräfte, deren beruflicher Schwerpunkt auf Beratung liegt, ist kontinuierliche Weiterbildung, wie sie das „Job Visiting“ bieten kann, unerlässlich. Dabei spielt es keine Rolle, ob man als Berater*in bei einer Verbraucherzentrale arbeitet, in einer PR-Agentur oder eben im Finanzsektor.
Eigeninitiative macht Sinn
Wem es nicht ganz geheuer ist, seinen Job und den eigenen Verantwortungsbereich über mehrere Monate hinweg zu tauschen, der ist vielleicht bei einer Hospitation gut aufgehoben. Diese ist in der Regel kürzer. Die Mitarbeiter*innen tauchen hier zwar ebenfalls in einen neuen Fachbereich ein, dürfen allerdings nur in einem abgesteckten Rahmen selbst Aufgaben übernehmen. Noch niederschwelliger angesiedelt ist das sogenannte Job Shadowing. Hierbei schauen Fachkräfte einer Kollegin oder einem Kollegen lediglich bei der Arbeit über die Schulter und bekommen so einen Einblick in das Tätigkeitsfeld.
Arbeitnehmer*innen müssen übrigens nicht darauf warten, dass Führungskräfte oder Personaler*innen ihnen ein solches Modell anbieten, sondern können die Idee auch selbst ins Gespräch bringen. Sowohl bei Dirk Ullendahl als auch bei Markus Essel ging die Initiative von den beiden Mitarbeitern selbst aus – und beide Male war es für alle Teilnehmenden ein beruflicher Gewinn.
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