
Wehmütig, aber chancenreich
Wenn Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst zurückkehren, haben sie viele Erfahrungen und neue Kompetenzen im Gepäck. Doch die Zeit nach der Rückkehr ist für viele eine Herausforderung. Der Verein Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste unterstützt sie bei der Neuorientierung.
Interview: Maria Köpf

WILA Arbeitsmarkt: Wer geht warum in den Entwicklungsdienst?
Dr. Gabi Waibel: Unsere Verbleibstudie von 2021 „Vor und nach dem Entwicklungsdienst. Eine quantitative Studie unter Rückkehrer*innen“ zeigt auf, dass für viele Fachkräfte nach wie vor solidarisches Engagement das entscheidende Motiv ist. Das zeigt sich auch daran, dass sich 70 Prozent bereits vor und 90 Prozent nach dem Entwicklungsdienst sozial engagieren. Qua Voraussetzung sind eine abgeschlossene Ausbildung und Berufserfahrung erforderlich. 50 Prozent sind über 40 Jahre, unter 30-Jährige sind selten. Die durchschnittliche Vertragsdauer liegt bei 33 Monaten, 12 Monate ist die Mindestdauer.
92 Prozent der Entsendeten sind heute Akademiker*innen, die aus unterschiedlichsten Fachbereichen stammen: typischerweise aus den Sozialwissenschaften, Politik oder Organisationsentwicklung, Wirtschaft oder Friedens- und Konfliktarbeit. Dabei sind auch Menschenrechtler, Klima-, Agrar-, Wasser- und Energiefachkräfte, mitunter sogar Ingenieure, Gesundheits-, Bildungs- und Digitalisierungsfachkräfte. Rund zwei Drittel können schon vor der Ausreise einen Bezug zur Entwicklungszusammenarbeit vorweisen.
Mit welchen Erfahrungen kommen die Fachkräfte zurück?
Der aktuellen Studie zufolge wurden viele Soft Skills erlernt oder vertieft – wie Flexibilität, analytisches Denken, Projekt- und Programmmanagement und Methodenkenntnisse wie Planung, Monitoring, Strategieentwicklung, Moderation und Evaluierungsmethoden. Hinzu kommen interkulturelle, beratende und vernetzende Kompetenzen, Sprach- und Länderkenntnisse oder Selbstmanagement im Bereich Lernen. Insgesamt erleben alle Befragten die Entwicklungszusammenarbeit als sehr bereichernd.
Viele sprechen von großem persönlichem Wachstum; gerade durch den Perspektivwechsel, weil sie – einmal selbst Ausländer*in – den Blick auf die Herkunft schärfen konnten. Viele empfanden es als sinnstiftend, für Gerechtigkeit und Armutsminderung eingetreten zu sein. Das kann im Einzelfall natürlich auch anders sein. Manchmal zählen schwierige Bedingungen dazu – aus der Ukraine mussten in diesem Jahr Fachkräfte evakuiert werden. Doch grundsätzlich bleibt die Bilanz oft positiv.
Was passiert nach der Rückkehr?
Manche gründen im Ausland eine Familie, lernen ihren Lebenspartner kennen, wollen neue Wege gehen. Auch die anderen kulturellen Einflüsse wirken oft noch nach. Die Rückkehrphase kann herausfordernd sein. Viele empfinden Fernweh, sie mussten liebgewonnene Menschen verlassen, zuweilen besseres Wetter. Wenn dann noch wichtige berufliche Veränderungen anstehen, eine kurze Phase der Arbeitslosigkeit, braucht es Neuorientierung.
Hier setzen wir als Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste e.V. (AGdD) an. Als Dachverband der sieben staatlich anerkannten Entsendeorganisationen stärkt unser Programm „Förderungswerk“ rückkehrende Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst. Gut zu wissen: 80 Prozent der Rückkehrer*innen finden im ersten Jahr eine Stelle. Andere gehen in den Ruhestand oder in eine Weiterbildung. Wir unterstützen sie bei der Jobsuche, üben etwa mit ihnen, erlernte Kompetenzen zu präsentieren.
Wo setzen Sie hier an?
Sagt jemand, er habe ein Projekt im Tschad begleitet, wird nichts vorstellbar. Erläutert er dem Personaler den Kontext, die Aufgabe und Arbeitsweise, wird ein Schuh daraus: Wer im Grenzgebiet am Tschadsee tätig war, wo es viele Konfliktfelder und die Bedrohung durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram gibt, und dort – als Fremder – Dialogprozesse mitgestaltet hat, verdient höchste Anerkennung.
Wie geht es beruflich nach dem Entwicklungsdienst weiter?
50 Prozent der Rückkehrer können laut unserer Studie bereits sagen, dass sich ihre berufliche Situation nach der Rückkehr verbessert hat. Nur 16 Prozent fanden, dass sich ihre Situation verschlechtert hatte. Gut 46 Prozent bleiben im Nachhinein im Ausland oder Inland in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Aus heutiger Sicht werden Rückkehrer auch in der Migrations- und Flüchtlingsarbeit, in allen politischen Bereichen, in NGOs und globalen Unternehmen sehr geschätzt. Sie können gut mit interkulturellen, sprachlichen, konfliktträchtigen Herausforderungen umgehen, mitunter besser als ein Sozialarbeiter, der nie im Ausland war. Es stehen eigentlich alle Karrierewege offen.
Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
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