Moore retten heißt Klima retten
Vom Artenschutz bis zur nachhaltigen Rohstoffgewinnung bietet die Regeneration trockengelegter Moorlandschaften in Deutschland sehr viel Potenzial. Hier entstehen gerade spannende Tätigkeitsfelder – nicht nur für Umweltwissenschaftler*innen.
Text: Janna Degener-Storr
Über sechzig Jahre ist es her, dass Hans Joosten begann, sich mit Mooren zu beschäftigen. „Ich bin am Rand eines Moores geboren und mein Vater nahm mich schon als Dreijähriger mit dahin“, erzählt der Biologe, der ursprünglich aus den Niederlanden stammt und heute als Professor für Moorkunde in Greifswald tätig ist. Doch in all der Zeit habe er noch nie ein so großes Interesse an seinem Fachgebiet erlebt wie aktuell, sagt der Experte: „Ich kriege momentan zwei bis drei Interviewanfragen pro Tag. Als Nebenprogramm haben wir auf der Klimakonferenz in Glasgow zwei Wochen lang von neun Uhr morgens bis acht Uhr abends im speziellen Peatland Pavilion mit Tausenden Beteiligten aus der ganzen Welt über Moore, ihre Probleme, ihre Lösungen geredet. Und erst heute Morgen hatte ich ein langes Gespräch mit dem indonesischen Umweltministerium, das Moore in den G20-Prozess einbringen will.“
So schädlich wie der Flugverkehr
Der Hintergrund: Über Jahrhunderte hinweg wurden die einst riesigen Moorflächen in Deutschland systematisch zerstört. Um das „Ödland“ für die Landwirtschaft nutzbar zu machen, hub man Gräben aus und führte das Wasser ab. Dadurch und auch durch die Bewirtschaftung drang Sauerstoff in den Boden ein, was nach und nach die dortigen reichhaltigen organischen Substanzen zersetzte. Außerdem wurde – und wird – dadurch klimaschädliches Kohlenstoffdioxid freigesetzt.
Was in der Summe ein riesiges Problem ist: Mehr als fünfundneunzig Prozent der Moorböden in Deutschland wurden auf diese Art und Weise trockengelegt. Dies führt laut Expert*innen zu 6,7 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen. Weltweit haben die entwässerten Moore einen größeren Effekt auf das Klima als der gesamte Flugverkehr. In Zeiten der Klimakrise beschäftigen sich daher jetzt nicht nur Wissenschaftler*innen mit der Frage, wie dieser Prozess rückgängig gemacht werden kann – zumal Moore auch noch in anderer Hinsicht wahre Schätze sind.
Das Centrale Agrar-Rohstoff Marketing- und Energie-Netzwerk (CARMEN e.V.), in Straubing bietet im Sinne der Energiewende Dienstleistungen wie Beratungen, Projektbegleitung und Informationsveranstaltungen an, unter anderem für Landwirt*innen, Kommunen, Wissenschaftler*innen und Privatpersonen.
Daniel Kapfhammer, Absolvent des Masterstudiengangs „Nachwachsende Rohstoffe“, ist dort in der Abteilung für Stoffliche Nutzung tätig und erklärt, warum Moore so schützenswert sind: „Sie dienen als riesiger Kohlenstoffspeicher und als Wohnraum für zahlreiche hochspezialisiert angepasste Tierarten. Sie tragen zum Temperaturausgleich bei, verhindern Überschwemmungen und haben für die Menschen ebenso wie Waldflächen eine erholsame Wirkung“.
Darüber hinaus dienen Moore aber auch als Rohstoffquelle. „Der Sonnentau beispielsweise enthält Wirkstoffe, die pharmazeutisch genutzt werden können, wie etwa in der Therapie von Hustenerkrankungen.“ Doch diese Pflanze werde heute häufig aus dem Ausland importiert, ebenso wie Materialien für Reetdächer, die in Norddeutschland schon seit Jahrhunderten genutzt werden.
Mit Paludikulturen Moorflächen regenerieren
Ein Ziel ist es nun, wieder Wasser auf den trockengelegten Mooren anzustauen, um dort angepasste Kulturen anzubauen, sogenannte Paludikulturen. Der Agrarwissenschaftler Dr. Falko Stockmann ist bei dem Netzwerk in der Abteilung „Biogas und Mobilität“ tätig und beschäftigt sich unter anderem mit Pflanzen, die in wiedervernässten Mooren zur energetischen Nutzung, thermisch oder zur Biogaserzeugung, angebaut werden können.
Er erklärt: „Wenn die Flächen nicht komplett renaturiert werden können, sollten sie für sogenannte Paludikulturen genutzt werden, zum Beispiel um Biomasse zu erzeugen. Auf Hochmooren werden zum Beispiel vorwiegend Torfmoose angepflanzt, auf den Niedermooren zum Beispiel Rohrglanzgras, Schilf, Seggen und Schwarzerle, eine Baumart, die im Wasser stehen kann. So kann dort auch Holz produziert werden. Und aus Rohrkolben kann beispielsweise Dämmmaterial hergestellt werden.“
Denkbar sei es aber zum Beispiel auch, Wasserbüffel auf den Flächen weiden zu lassen und für die Milch- oder Fleischproduktion zu nutzen oder Photovoltaikanlagen zur Energieproduktion zu installieren. Dabei ist es wichtig, die Landwirte und Landwirtinnen, denen die Flächen gehören, mit ins Boot zu holen, beispielsweise mithilfe von Förderprogrammen.
Doch es sind noch viele Fragen offen. Nico Arbeck, Leiter der Abteilung „Stoffliche Nutzung“, gibt einige Beispiele: Welche Maschinen braucht man für die Nutzung von nassen Mooren? Wie lassen sich die Rohstoffe, die aus Paludikulturen stammen, wirtschaftlich verarbeiten? Wie können nachhaltige Dämmstoffe aus Rohrkolben beispielsweise mit Styropor konkurrieren? Wie kann aus Biomasse, die auf nassen Moorflächen gewonnen wird, Energie produziert werden und welche rechtlichen Fragen müssen Energieerzeuger beachten? Lassen sich energetische und stoffliche Nutzungskonzepte koppeln?
Das Straubinger Netzwerk organisiert jetzt ein digitales Forum zum Thema „Moore wiedervernässen & bewirtschaften“, wo sich Interessierte über aktuelle Forschungsergebnisse zu dem Thema informieren und austauschen können, ebenso wie über die politischen Rahmenbedingungen und erfolgreichen Praxisbeispiele.
Planung, Umsetzung und Bewertung von Projekten
Interessant ist das auch für Umwelt- und Sozialwissenschaftler*innen, die sich beruflich (neu) orientieren wollen. „Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen wollen, müssen wir ab jetzt pro Jahr 50.000 Hektar des Moores in Deutschland wiedervernässen. Bis jetzt haben wir 2.000 Hektar pro Jahr geschafft, wir müssen die Kapazität also verfünfundzwanzigfachen“, betont Hans Joosten, der am Greifswald Moor Centrum selbst händeringend nach Personal sucht. Darüber hinaus gebe es auch großen Bedarf in Europa und der Welt.
Schon jetzt werden die Projekte durch den Mangel an Biolog*innen, Geograf*innen, Hydrolog*innen und anderen Fachkräften gebremst, die an der Planung, Umsetzung und Bewertung solcher Änderungen in der Landwirtschaft mitwirken müssen. Gefragt sind beispielsweise Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der Beziehung von Pflanzen und Wasserstandfluktuation, mit Wasserqualität, Bodenbedingungen sowie mit Torfbildung beschäftigen.
Aber auch für die Entwicklung von alternativen Nutzungskonzepten und ebenso für die Evaluation solcher Projekte ist Expertise notwendig. In der praktischen Umsetzung, in der Logistik, in der Anpassung der Produktionsketten sowie in der Entwicklung passender Förderprogramme seien ebenso Fachleute gefragt.
Für Pädagog*innen und selbst für Geisteswissenschaftler*innen bietet das breite Themenfeld rund um die Moore ebenso neue Einsatzfelder, zum Beispiel im Bereich Wissensvermittlung. Hans Joosten hat sich in einem Forschungsprojekt mit Altphilolog*innen über das Thema ausgetauscht und erklärt: „Moore bringen viel negativere Assoziationen mit als Wälder. Geisteswissenschaftler*innen können dabei helfen, diese Einstellung zu ändern. Sie zeigen zum Beispiel, dass die Menschen in Mesopotamien positive Gefühle mit Mooren in Verbindung gebracht haben. Diese Art der Bewusstmachung brauchen wir“. Auch Pädagog*innen seien gefragt, etwa wenn es darum geht, Erkenntnisse über Moore beispielsweise in die Schulen und Kitas zu tragen.
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