„Ohne Psychologie geht es nicht“
Die Gesundheit der Psyche rückt ist nicht erst seit der Corona-Pandemie im Fokus der Gesellschaft. Hier braucht es gut geschulte Fachkräfte, um den immensen Bedarf zu decken.

„Ohne Psychologie geht es nicht“

Gut ausgebildete Psycholog*innen sind in vielfältigen Bereichen im Einsatz. Manche davon stellen spezielle Anforderungen an die Fachkräfte. Der Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) bietet Orientierung und Vernetzung.

Interview: Nicole Kretschmer 

Dr. Meltem Avci-Werning ist in der Schulpsychologie tätig und seit 2020 ehrenamtliche Präsidentin des BDP. Foto: BDP

WILA Arbeitsmarkt: Psychologie ist ein viel beachtetes Berufsfeld in der Gesellschaft, und die Pandemie hat die Wahrnehmung dafür auch noch einmal gestärkt.
Dr. Meltem Avci-Werning:  Interessanterweise war das nicht immer so. In der Zeit, in der ich selbst als Psychologin tätig bin, hat die Psychologie enorm an Bedeutung gewonnen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass viele Menschen sehr skeptisch darauf reagiert haben, wenn man gesagt hat, man ist Psychologe oder Psychologin. Dann kamen Sätze wie ‚Oh ich sag jetzt nichts mehr, die analysiert mich ja sonst gleich‘ oder ‚Ich brauche keine psychologische Beratung, ich bin ja nicht verrückt‘. Damals lag der Fokus vor allem auf Menschen mit psychischen Störungen und Auffälligkeiten. Vieles hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt und die Psychologie ist in ihren Anwendungsfacetten breiter geworden. Sie hat damit an Bedeutung und Anerkennung auch in anderen Berufsfeldern gewonnen. Für andere Berufsgruppen gilt die Auseinandersetzung mit psychologischen Themen inzwischen als Professionalisierung.  

Ein Abschluss in Psychologie bietet den Absolvent*innen viele Einstiegsmöglichkeiten.
Ja, das ist richtig. Ein besonders beliebter und bekannter Arbeitsbereich ist die Psychotherapie, wobei hier eine Zusatzausbildung und anschließende Approbation erfolgen muss. Es gibt aber auch jede Menge Berufsfelder, in denen Psycholog*innen arbeiten können. Bekannte Arbeitsorte sind Krankenhäuser, bei der Polizei, in der Schulberatung oder Gesundheitspsychologie, in der Verkehrspsychologie und in der Marktforschung. Neben der Forschung zum Beispiel auch an Universitäten zählen zu den Tätigkeiten die Beratung von Einzelnen und Organisationen, aber auch Supervision, Mediation und Konfliktmanagement. Für Absolvent*innen ist es daher wichtig, sich mit den vielfältigen Möglichkeiten in diesen unterschiedlichen Bereichen zu beschäftigen.  


 
„Die Psychotherapie beschäftigt sich klassischerweise mit Einzelfällen.“
 

 

Welche sind das? 
Man kann beispielsweise zwischen Einzelfallberatung und Arbeit mit Gruppen unterscheiden. Die Psychotherapie beschäftigt sich klassischerweise mit Einzelfällen. Hier geht es darum, Klient*innen bei ganz unterschiedlichen und komplexen Problemstellungen zu unterstützen. Diese Tätigkeit wird ausschließlich von approbierten Psychotherapeut*innen ausgeübt. Viele Fachkräfte haben hier über ihre Therapiequalifikation hinaus oft auch eine Zusatzqualifikation im entsprechenden Gebiet wie beispielsweise Sucht, Supervision oder Krisenintervention.

Bei der Arbeit mit Gruppen werden beispielsweise Familien, Paare oder Teams beraten oder in Themen der Psychologie geschult. Hierfür ist eine Psychotherapie-Ausbildung nicht zwingend notwendig. Thematisch kann es hierbei um Kommunikation in einer Beziehung oder im Team gehen. Aber auch sexuelle Übergriffe an Schulen können Thema sein, etwa im Bereich der Schulpsychologie. Fachkräfte setzen hier üblicherweise auch Schwerpunkte durch Weiterbildungen.  


 
„Für Psycholog*innen ist eine berufliche Weiterbildung und Spezialisierung nach dem Studium sehr hilfreich.“
 

 

Und welche Tätigkeitsfelder gibt es abseits der Einzelarbeit und der Arbeit mit Gruppen? 
Hier gibt es unter anderem die System- und Organisationsberatung. Ein Beispiel aus dem Gesundheitsmanagement: In einem Wirtschaftsunternehmen gibt es in einem Bereich einen höheren Krankenstand als in anderen. Hier ist das Ziel herauszufinden, warum das so ist und mit welchen Maßnahmen diese Situation verbessert werden kann. Des Weiteren gibt es den Tätigkeitsbereich der Krisen- und Notfallpsychologie. Dieser Bereich ist natürlich während der Coronapandemie, aber auch während der Hochwasserkatastrophe im Sommer sehr wichtig gewesen.

Zentrale Aufgaben sind, die Politik zu beraten oder vor Ort zu unterstützen. Ein weiterer Aspekt ist, mit Fachkräften oder Klient*innen zu arbeiten, die sich in einer Krisensituation befunden haben. Ich selbst bin in der Schulpsychologie tätig, und hier ist es leider so, dass Suizide in Schulen immer wieder vorkommen. Hier unterstützen dann Psycholog*innen.

Ein weiterer großer Bereich ist natürlich die Aus-, Weiter- und Fortbildung. Ein klassisches Beispiel sind Trainings für Führungskräfte oder Achtsamkeitstrainings. Und dann gibt es noch weitere Tätigkeitsbereiche, die oft eine Spezialisierung voraussetzen, wie die Rechtspsychologie oder psychologische Betreuung in der Rehabilitation. Sie sehen schon: Für Psycholog*innen ist eine berufliche Weiterbildung und Spezialisierung nach dem Studium sehr hilfreich und in bestimmten Bereichen auch Voraussetzung. 


 
„Wenn man zu Beginn des Studiums den Plan hatte, Psychotherapeut*in zu werden und dann während des Studiums feststellt, dass das irgendwie nicht passt, gibt es ja viele weitere berufliche Möglichkeiten.“
 

 

Das sind viele Möglichkeiten. Wie gelingt hier die Orientierung nach dem Abschluss? 
Wichtig ist herauszufinden, was einen in den verschiedenen Bereichen erwartet. Dafür haben wir als Verband beispielsweise eine eigene Tagung im Frühjahr, den „BE IN-Kongress“. Dort berichten unsere Mitglieder den Teilnehmer*innen, wo sie arbeiten, was sie machen und welche Anforderungen die Tätigkeit hat. Hier bekommen die Absolvent*innen ein genaueres Bild davon, was sie im jeweiligen Tätigkeitsfeld erwartet. Hier können sie außerdem konkrete Fragen stellen und Kontakte knüpfen, die für den Berufseinstieg sehr wichtig sind. Außerdem sollte man sich nicht entmutigen lassen! Wenn man zu Beginn des Studiums den Plan hatte, Psychotherapeut*in zu werden und dann während des Studiums feststellt, dass das irgendwie nicht passt, gibt es ja viele weitere berufliche Möglichkeiten.  

Welche Rolle spielt die Coronapandemie im Verband?
Zum einen hat die Pandemie natürlich auch unsere Mitglieder betroffen. Gerade zu Beginn ging es im Wesentlichen darum, die Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, die freiberuflich tätig sind und teilweise nicht arbeiten konnten oder durften. Das war gerade im ersten Halbjahr 2020 ein sehr zentrales Thema. Außerdem haben wir natürlich unsere Mitglieder informiert: Zum Beispiel darüber, welche finanziellen Hilfen man wo bekommt oder welche Maßnahmen gerade in Kraft sind. Diese hatten ja ganz maßgeblich Einfluss auf den Arbeitsalltag von Psycholog*innen in allen Tätigkeitsfeldern. Und unsere Mitglieder konnten und können sich auch mit rechtlichen Fragen an den Justiziar des BDP wenden.

Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)
Gegründet wurde der BdP im Jahr 1946, er hat zurzeit rund 11.000 Mitglieder. Die Vorteile einer Mitgliedschaft sind:
  • Austausch in Fachsektionen, Landesgruppen und Arbeitskreisen 
  • Mitarbeit an Stellungnahmen
  • Kostenfreie, individuelle Beratung zu unterschiedlichen Themen wie Existenzgründungen, Berufswegberatung, Rechtsberatung oder Arbeiten im Ausland
  • Verschiedene Möglichkeiten der Zertifizierung beispielsweise als Fachpsycholog*in für Klinische Psychologie
  • Vergünstigungen und Sonderkonditionen bei Tagungen 
  • Vielfältige Informationsmöglichkeiten zum Berufseinstieg und der „BE IN-Kongress“ zur Berufsorientierung
  • Kostenfreier Zugang zur Fachzeitschrift „Report Psychologie“
Jahresbeitrag:
  • für Vollmitglieder: 272 Euro 
  • für Psychotherapeut*innen in Ausbildung (PiA): 128 Euro
  • für Studierende: 52 Euro
Webseite:

Zum anderen haben wir aber auch unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen. Wir haben eine BDP-Coronahotline geschaltet. Dort konnten die Menschen anrufen, wenn sie Fragen hatten oder Unterstützung brauchten. Betrieben wurde die Hotline ehrenamtlich von Mitgliedern des Verbands. Und auch für die Hochwasserkatastrophe haben wir ebenfalls eine Hotline eingerichtet. Darüber hinaus haben wir mit anderen Psychologie-Organisationen gemeinsame Stellungnahmen zur Pandemie veröffentlicht. Und in diesem Sommer hat der BDP auch noch einmal auf die Situation von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie aufmerksam gemacht und mit unserer Expertise die Politik unterstützt.  


 
„Bei Online-Therapien war zunächst mal der Datenschutz eine große Hürde.“
 

 

Die Pandemie hat gezeigt, dass die Digitalisierung ein enorm wichtiges Thema in allen Bereichen ist. Wie war das für Psycholog*innen?
Onlineberatungsmöglichkeiten wurden natürlich angeboten. Doch gerade bei Online-Therapien war zunächst mal der Datenschutz eine große Hürde. Die Psychotherapie ist ja eine besondere Arbeit, die vor allem auf Vertrauen basiert. Sie muss dann auch den höchsten Datenschutzanforderungen gerecht werden – auch online. Daher mussten erst einmal Tools gefunden werden, mit denen das möglich ist, und das hat teilweise gedauert.

Problematisch war es aber nicht nur für Psychotherapeut*innen, sondern auch Psycholog*innen in Unternehmen beziehungsweise Organisationen. Diese haben beispielsweise über Monate hinweg keine datenschutzkonformen Tools bereitgestellt bekommen, sodass die entsprechenden Fachkräfte keine Onlineberatung anbieten konnten. Das ist eine dramatische Situation. Denn es geht ja nicht nur darum, dass Psycholog*innen ihren Job machen können. Wenn diese wichtigen Voraussetzungen nicht geschaffen werden, bleiben die Betroffenen auf der anderen Seite einfach mit sich alleine. Das kann für Ratsuchende bedeutende Folgen haben und die Problemlagen verschlimmern. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass es bei anderen Beratungsmöglichkeiten oder auch Weiterbildungsangeboten sehr schnell ging. Besonders die, die freiberuflich tätig sind, konnten sehr schnell reagieren. 


 
„Ein ganz wichtiger Aspekt der Mitgliedschaft ist natürlich die Beratung und Vernetzung untereinander.“
 

 

Welche weiteren Vorteile bietet eine Mitgliedschaft im Verband?
Die Hauptaufgabe des Verbands ist ja, dass wir uns als politische Vertretung unserer Mitglieder verstehen. Das machen wir auf nationaler und internationaler Ebene. Unsere Mitglieder haben also durch ihre Mitgliedschaft die Chance, sich berufspolitisch einzubringen, wenn sie etwa an psychologischen Stellungnahmen oder Projekten des BDP mitarbeiten.

Zudem haben wir als Verband auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung und arbeiten an Schwerpunktthemen, die gesellschaftlich relevant sind. Das war im letzten Jahr „Heterogenität verbindet“, dieses Jahr war es „Klima und Psychologie“, und im kommenden Jahr wird es das Thema „Mehr Psychologie in die Schulen“ sein. Wer möchte, kann an aktuell relevanten Themen mitarbeiten.

Ein ganz wichtiger Aspekt der Mitgliedschaft ist natürlich die Beratung und Vernetzung untereinander. Hier können die Mitglieder in Fachsektionen, Landesgruppen, aber auch in Arbeitskreisen und Themengruppen aktiv werden. Außerdem können sie verschiedene Beratungs- und Informationsangebote nutzen. Wir haben zum Beispiel eine juristische Beratung oder eine Beratung zur Existenzgründung und, wie bereits erwähnt, machen wir auch einiges im Bereich Berufsorientierung..

Wer kann Mitglied werden? 
Im Verband können all diejenigen Mitglied werden, die einen Abschluss in Psychologie haben oder zurzeit ein Studium in dem Bereich absolvieren.

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