Feiertagsarbeit ist besonders
Für viele sind Wochenenden und Feiertage ein heiliger Zeitraum, in dem die Arbeit nichts zu suchen hat. Aber in sozialen Berufen gibt es nicht immer so klare Grenzen: Auch für Elisa Lindemann, die Frauen in einer Notübernachtung betreut, steht die Liebe zum Beruf im Vordergrund.
Text: Maike von Haas
Elisa Lindemann ist Sozialarbeiterin in der „Marie“, einer Notübernachtung der Koeppjohann'schen Stiftung in Berlin. Die Einrichtung bietet wohnungslosen Frauen eine Unterkunft, wo diese sich erholen und Kräfte sammeln können. Für Wohnungslose gibt es weder Alltag noch Auszeiten, und so verbringt auch Elisa Lindemann viele Wochenenden und Feiertage in der Einrichtung. Die 30-Jährige hat vor sieben Jahren ihren Bachelor in Sozialer Arbeit abgeschlossen und im vergangenen Jahr einen Master mit dem Schwerpunkt Sozialmanagement. Sie habe sich mit dem Beruf einen Traum erfüllt. „Es ist ein facettenreicher Bereich, der mir wahnsinnig viel Spaß macht. Ich kann hier meinen Beitrag leisten, das Elend etwas zu lindern.“ In die Marie kommen Frauen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen biografischen Hintergründen. Schätzungsweise leben 6.000 Menschen in Berlin auf der Straße, davon sind 2.000 Frauen. Gerade an Feiertagen geraten diese Frauen in Krisen, weil ihnen bewusst wird, dass sie keine Familie haben, die für sie da ist.
Elisa Lindemann und ihre Kolleg*innen versuchen dann, trotzdem ein Gefühl von Wohlbefinden und eine weihnachtliche Atmosphäre zu schaffen. Normalerweise dürfen zehn Frauen bis zu vierzehn Tage in der Einrichtung bleiben, in Coronazeiten sind es sechs Frauen, die bis zu 28 Tage lang gemeinsam mit den Sozialarbeiterinnen eine neue Lebensperspektive entwickeln.
Manche Frauen haben seit frühester Kindheit teilweise ambulante, teilweise stationäre Hilfen durchlaufen, bei anderen ist die Partnerschaft auseinandergebrochen, andere wiederum hat der sich extrem wandelnde Berliner Wohnungsmarkt auf die Straße entlassen. Wieder andere Frauen haben sogar noch eine Wohnung, betreten sie aber nicht mehr aufgrund einer psychischen Erkrankung.
Im Wochenalltag gehört es zur zentralen Aufgabe von Elisa Lindemann, sich mit den wohnungslosen Frauen im Beratungsgespräch zusammenzufinden und gemeinsam nach langfristigen Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen. Sie unterstützt die Frauen bei Leistungsansprüchen und vermittelt sie weiter an spezialisierte Beratungseinrichtungen.
Wenn Emotionen schwanken
An Weihnachten allerdings wird auch in der Marie gefeiert. „Wir malen, schauen traditionelle Filme an, backen und kochen“, erzählt Elisa Lindemann. Gleichfalls ist das Weihnachtsfest eine krisenhafte Zeit für die Frauen, wenn sie sich daran erinnern, wie es in der Familie war oder auch im Kinderheim. Viele sehnen sich danach, Geschwister oder Kinder wiederzusehen.
„Wir halten gemeinsam Traurigkeit aus und lachen zusammen. Es ist so wichtig, dass die Frauen an solchen Tagen nicht alleine sind, weil ihre Emotionen dann besonders schwanken“, sagt die Sozialarbeiterin. Sie arbeitet auch deshalb gerne am Wochenende und an Feiertagen, weil sie dann mehr Zeit hat, die Frauen persönlich zu unterstützen. Ein Erfolg könne es schon sein, wenn eine Frau es schaffe, einen Wunsch zu äußern. Manche Frauen seien so stark in der Krise, wenn sie in die Marie kämen, dass es für sie ein großer Schritt sei, sich um ihre Körperhygiene zu kümmern und zu duschen, berichtet Elisa Lindemann.
Weihnachtsfest im Januar
Die eigene Weihnachtsfeier bei Großeltern und Eltern verlegt sie in den Januar. „Natürlich ist es schade, dass ich meine Familie an Weihnachten nicht sehen kann. Aber es ist mir wichtig, in der Marie zu sein und etwas von dem Glück, das ich in meinem Leben hatte, zurückzugeben. Dafür haben auch meine Eltern, Großeltern und Geschwister Verständnis“, berichtet die Sozialarbeiterin. Auch teilten viele ihrer Bekannten und Freund*innen das gemeinsame Schicksal, an Feiertagen zu arbeiten, weil sie ebenfalls im sozialen oder medizinischen Bereich tätig sind.
Aber Elisa Lindemann hat über das ganze Jahr viel Flexibilität in ihrer Freizeitgestaltung. Als Ausgleich zur Feiertags- und Wochenendarbeit hat sie in der Woche frei. Sie spricht sich individuell mit ihrer Kollegin ab, kann für sich lange Wochenenden gestalten oder an Wunschtagen frei nehmen, um sich um Dinge zu kümmern, die nur wochentags erledigt werden können. Feierabend macht sie auch nicht immer zur gleichen Zeit. Oft bleibt sie länger in der Marie, wenn sie eine Frau begleiten möchte, die akut in der Krise ist. Dafür geht die Sozialarbeiterin an anderen Tagen früher. „Meine Arbeit hat viel Freiheit und Flexibilität, und ich genieße das sehr“, berichtet Elisa Lindemann.
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