In der Nische promovieren?
Durch die Corona-Pandemie konnten angehende Musikwissenschaftler*innen kaum Erfahrungen durch Praktika und Hospitationen in Opernhäusern oder auf Musikfestivals sammeln.

In der Nische promovieren?

Als Musikwissenschaftler*in erfolgreich in die berufliche Zukunft zu starten, ist nicht immer leicht. Orientierung gibt die Fachgruppe „Nachwuchsperspektiven“ von der Gesellschaft für Musikforschung (GfM).

Text: Nicole Kretschmer

Von Kompositionen von Palestrina, Bach und Schönberg über die gesellschaftliche Entwicklung des Künstlerlebens am Hofe Ludwig des XIV. bis zu soziologischen Betrachtungen von Gender in der Populären Musik: Die Musikwissenschaft ist eine der Disziplinen, die es Studierenden ermöglicht, eine große Spannweite an Themen kennenzulernen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Dabei eignen sie sich nicht nur Fachwissen, sondern auch jede Menge weiterer Fähigkeiten an: Sie können beispielsweise detaillierte Analysen anfertigen, sich schnell in neue Themen einarbeiten und sich gut selbst organisieren – nützliche Skills, die in der Berufswelt gefragt sind. Die Jobsuche wartet aber mit einigen Herausforderungen auf:

„Das sind natürlich in vielerlei Hinsicht dieselben wie in anderen Studienfächern auch – vor allem in anderen geisteswissenschaftlichen Fächern: Man studiert keinen konkreten Beruf wie Lehrerin oder Zahnarzt. Die Absolvent*innen stehen also vor der Herausforderung, sich im Studium und im Fach zu orientieren und zugleich herauszufinden, was sie eigentlich interessiert und welche Möglichkeiten es gibt“, fasst Carolin Sibilak zusammen. Die Musikwissenschaftlerin engagiert sich zusammen mit Maria Behrendt und Tom Wappler in der Fachgruppe „Nachwuchsperspektiven“ der Gesellschaft für Musikforschung (GfM).  

Die Berufsorientierung auf dem Arbeitsmarkt ist für Musikwissenschaftler*innen aber nicht leicht, wie die drei GfM-Mitglieder wissen: Denn im außeruniversitären Arbeitsmarkt werden Stellen selten spezifisch nur für diesen Studienabschluss ausgeschrieben oder sie sind gegebenenfalls auch für Absolvent*innen anderer geisteswissenschaftlicher Fächer interessant. Einstiegsstellen sind daher hart umkämpft.

Und auch die Arbeitgeber wissen mitunter nicht genau, welche Fähigkeiten sich hinter dem Abschluss verbergen: „Manch ein Arbeitgeber geht davon aus, dass wir Künstlerinnen und Künstler sind, und es kann passieren, dass die Bewerbung deswegen gleich aussortiert und gar nicht näher angeschaut wird“, so Carolin Sibilak. Praktika sind also umso wichtiger, um nicht nur praktische Erfahrungen zu sammeln und Berufsfelder kennenzulernen, sondern auch, um einen Fuß in die Tür zu bekommen. Tom Wappler ergänzt: „Berufsorientierung in den verschiedenen musikwissenschaftlichen Instituten hängt stark davon ab, wie sehr die Situation von den Dozierenden wahrgenommen wird. Entscheidend ist also, ob die Lehrenden diese Breite an Berufsmöglichkeiten vermitteln und Berufsorientierung fördern.“

Corona und die Musikbranche

Die Corona-Pandemie hat zudem die Kulturbranche und damit auch Musikwissenschaftler*innen empfindlich getroffen: Konzertsäle, Theater und Opernhäuser waren geschlossen und auf den Musikfestivals im Sommer erklang kein einziges Instrument – das hatte auch Auswirkungen auf die so wichtigen Praktika und Hospitationen, erklärt Maria Behrendt:

„Uns ist stark aufgefallen, dass gerade Praktika und Hospitationen fast vollständig weggefallen sind. Entweder, weil man aufgrund des Infektionsschutzes keine betriebsfremden Personen aufnehmen durfte, oder auch einfach, weil der Konzertbetrieb brachlag, und es nicht ausreichend Arbeit gab. Davon sind nicht nur Praktika und Hospitationen betroffen. Viele Studierende arbeiten auch während der Semesterferien im Nebenjob auf Musikfestivals. Dort können sie in der Regel schon erste Kontakte knüpfen und sammeln Berufserfahrungen, woran sich dann vielleicht auch ein Volontariat anschließen kann. Das sind alles Möglichkeiten, die in der Corona-Zeit versperrt waren, beziehungsweise immer noch sind.“

Die Postdoktorandin an der Universität Marburg hat zudem beobachtet, dass nun auch viele Freiberufler*innen in die wenigen vorhandenen Festanstellungen drängen. Das hätte wieder Auswirkungen auf Berufseinsteiger*innen, denn für sie gibt es dadurch kaum Möglichkeiten, eine solche Position zu ergattern. 

„Aber die Pandemie bringt auch Chancen mit sich“, so Behrendt, „denn viele Initiativen wie Neustart Kultur bemühen sich sehr um die Kulturbranche. Und auch das Thema Digitalisierung ist vorangeschritten: Es gibt nun in vielen Bereichen digitale Konzerte. Livestreaming von Aufführungen und weitere Formate werden ausprobiert. Dadurch entstehen auch neue Berufsbilder.“ 

Eine solche Position besetzte das Staatstheater Darmstadt beispielsweise zur aktuellen Spielzeit 21/22. Hier wurde ein*e Referent*in für Digitale Strategien gesucht, der oder die Digitalprojekte an der Schnittstelle zwischen Kunst, Verwaltung und Publikum umsetzt. „Wie nachhaltig diese Berufsbilder sind, wird sich allerdings erst noch zeigen“, ergänzt Maria Behrendt.  

Aktuelle Probleme angehen

Für viele Absolvent*innen der Musikwissenschaft ist die wissenschaftliche Karriere auch eine Option. Doch wie in vielen Fächern der Geisteswissenschaften gibt es nur wenige Promotionsstellen und auch danach sieht die Lage kaum besser aus. Eine Situation, mit der sich die Fachgruppe auseinandersetzt. „Gerade in einem kleinen Fach wie Musikwissenschaft mit ohnehin wenig Stellen gibt es kaum Planungssicherheit“, erzählt Tom Wappler. 

Eine Situation, für die seiner Meinung nach die fehlende Stellenvielfalt an deutschen Universitäten auch mitverantwortlich ist: „Schaut man beispielsweise in andere Länder wie die USA, Großbritannien oder Frankreich, findet man einen viel breiteren und diverseren Mittelbau mit unterschiedlichen Karrieremöglichkeiten. Bei uns gibt es immer nur das Nadelöhr Postdoc und dann anschließend die Professur. Aber nicht jeder, der weiter wissenschaftlich arbeiten möchte und auch dazu befähigt ist aufgrund seiner Laufbahn, strebt die Professur an.“ 

Gesellschaft für Musikforschung (GfM)
Gegründet wurde die GfM 1946, sie hat zurzeit circa 1.600 Mitglieder. Ihre Aufgaben sind:
  • Förderung des wissenschaftlichen Austauschs beispielsweise in Fachgruppen zu Themen wie Aufführungspraxis und Interpretationsforschung, Digitale Musikwissenschaft, Frauen- und Genderstudien oder Nachwuchsperspektiven
  • Koordination wissenschaftlicher Arbeitsvorhaben
  • Herausgabe der Zeitschrift „Die Musikforschung“
Termin:
  • Der Internationale Kongress der Gesellschaft für Musikforschung findet vom 28. September bis 1. Oktober 2021 in Bonn statt.
  • Die Fachgruppe „Nachwuchsperspektiven“ organisiert hier einen Roundtable zum Thema „Zwischen Berufung und Beruf: Arbeitsbedingungen und -perspektiven von Musikwissenschaftler*innen im deutschsprachigen Raum“ unter anderem mit Gästen vom Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft und dem WILA Arbeitsmarkt.
Kosten:
  • Jahresbeitrag für Einzelmitglieder: 50 Euro
  • Jahresbeitrag für Studierende: 25 Euro
Webseite:

Zu dieser ohnehin prekären Situation gibt es weitere Aspekte, die sie negativ verschärfen. Dazu zählt beispielsweise die Ungleichbehandlung in der Forschung: „In der Musikwissenschaft gibt es, wie in allen an der Universität angesiedelten Fächern, sehr starke Hierarchien. Die sind gerade im deutschen Universitätsbetrieb immanent , können aber im schlimmsten Fall zu Machtmissbrauch führen. Und da sind gerade Nachwuchswissenschaftler*innen in einer besonders empfindlichen und prekären Situation“, so Maria Behrendt. 

Um auf diese Situation aufmerksam zu machen, organisiert die Fachgruppe Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden. Thematisch geht es beispielsweise um die Problematisierung von traditionellen Geschlechterrollen während der Familienphase, die oft in der Promotion oder zum Ende der Promotionszeit ansteht. Darüber hinaus gehört auch die Anerkennung von ausländischen Studienabschlüssen etwa aus Großbritannien dazu. Die Fachgruppe diskutiert ebenso das Thema Altersdiskriminierung hinsichtlich der Benachteiligung von Forschenden, die aufgrund fehlender Finanzierung oder wegen der Familienphase länger für die Promotion brauchen: Diese können aufgrund einer gesetzten Altersgrenze Stipendien, Beratungsangebote oder andere Formate nicht in Anspruch nehmen. 

Auf dem Weg zur Promotion 

Wer sich dennoch für eine Promotion und eine Karriere in der Wissenschaft entscheidet, sollte Durchhaltevermögen mitbringen und natürlich eines nicht außer Acht lassen: „Wie in anderen Fächern auch braucht man vor allem ein Thema, das einen wirklich begeistert und bei dem man sich sicher ist, dass man sich damit noch jahrelang beschäftigen will!“, sagt Carolin Sibilak. „Außerdem ist es wichtig, eine nachhaltige und praktikable Finanzierung zu haben, die einem auch die Zeit lässt zu forschen.“ Hier gibt es mehrere Möglichkeiten wie Stipendien, Graduiertenkollegs oder eben eine direkte Stelle an einem Institut. 

Promovierende profitieren außerdem vom Austausch untereinander und natürlich von einer guten Betreuung. Die Fachgruppe hilft zum Beispiel bei der Vernetzung von Nachwuchswissenschaftler*innen, die die ersten Schritte in der universitären Lehre machen. Hier können sie Materialien und Erfahrungen austauschen. 

Tom Wappler ist gerade selbst in der Endphase seiner Promotion und rät außerdem: „Phasen der Selbstreflexion helfen einem, um sich auch auf den eigenen beruflichen Werdegang zu konzentrieren. Hier geht es darum, frühzeitig zu schauen, warum jemand eine Promotion macht und wozu er sie im Anschluss benötigt. Das hilft, die Promotion auch durchzuziehen. Und wer die Antworten darauf findet, kann beispielsweise auch schon erste Kontakte in diese Richtung knüpfen.“

Hierfür bietet sich die große musikwissenschaftliche Jahrestagung an oder ein Engagement in der Gesellschaft für Musikforschung: „Die GfM ist der größte Zusammenschluss von Musikwissenschaftler*innen im deutschsprachigen Raum. Auf den Jahrestagungen haben die Nachwuchswissenschaftler*innen schon früh die Möglichkeit, andere Fachvertreter unkompliziert kennenzulernen“, erzählt Maria Behrendt. 

Außerdem können Mitglieder in den Fachgruppen Veranstaltungen mitorganisieren, die eigene Forschungsarbeit vorstellen oder Beiträge in der Verbandszeitschrift „Die Musikforschung“ veröffentlichen. Für Maria Behrendt ist aber gerade der gemeinsame Austausch sehr wichtig: „Das Schöne an einer Mitgliedschaft sind vor allem die Treffen mit Kolleg*innen aus anderen Städten und von anderen Universitäten, die man sonst selten sieht. So bleibt man auf dem Laufenden, und auch die Zusammenarbeit wird leichter.“

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