„Die Ernährungsbranche boomt“
Lebensmittelproduktion oder doch lieber Ernährungsberatung? Nach dem Abschluss stehen Absolvent*innen der Oecotrophologie vor der Qual der Wahl bei der Berufswahl. Orientierung bietet der Berufsverband Oecotrophologie (VDOE).
Interview: Nicole Kretschmer
WILA Arbeitsmarkt: Ob im Fernsehen oder in den sozialen Medien: Ernährung ist in den letzten Jahren zum Topthema geworden – nicht zuletzt auch durch die Klimabewegung.
Dr. Andrea Lambeck: Das stimmt. Das öffentliche Interesse an der Ernährung und der Herstellung von Lebensmitteln ist stark gewachsen. Denn mit unserer Ernährung treffen wir täglich Entscheidungen, die auch Auswirkungen auf das Klima und das Thema Nachhaltigkeit haben. Zudem haben sich auch durch die Corona-Pandemie mehr Menschen mit dem Thema Ernährung auseinandergesetzt: Sie haben weniger außer Haus gegessen, und stattdessen selbst zu Hause gekocht und dadurch oft auch bewusster eingekauft. Im Zuge dessen kommen dann Fragen auf wie, was sind eigentlich die Inhaltsstoffe eines Produkts? Welches Gemüse hat gerade Saison? Oder welche Lebensmittel kommen aus meiner Region und bei welchen gibt es vielleicht Lieferengpässe. Und schon sind wir bei den oecotrophologischen Themen.
Was ist Oecotrophologie und welche Bereiche gehören dazu?
Oecotrophologie heißt übersetzt Haushalts- und Ernährungswissenschaft und der dazugehörige Studiengang wurde in den 1960er Jahren als Diplom-Studiengang entwickelt. Durch die Bologna-Reform hat er sich mittlerweile sehr diversifiziert und es sind viele verschiedene Studienangebote entstanden. Dazu gehören weiterhin die Oecotrophologie und die Ernährungswissenschaften, aber es gibt auch Bachelor- und Masterabschlüsse in Ernährungsmedizin, Ernährungstherapie sowie Ernährungsökonomie oder Haushaltswissenschaft.
Themen im Studium sind dann beispielsweise die Ernährungsphysiologie, zu der die Fächer Biologie, Chemie und Physik gehören. Außerdem geht es dann je nach Schwerpunkt auch um VWL und BWL, Kommunikation oder Beratung. Man kann also sagen, dass es ein sehr vielfältiger Bereich ist und daraus ergeben sich vielfältige berufliche Möglichkeiten für die Absolvent*innen.
Welche Berufsfelder stehen Absolvent*innen der Oecotrophologie offen?
Zu den potentiellen Arbeitgebern gehören beispielsweise Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft. Hier werden Fachkräfte beispielsweise für die Produktentwicklung oder Qualitätssicherung gesucht. Dabei ist die Lebensmittelwirtschaft weit gefasst: Dazu zählen die Bereiche Herstellung und Vertrieb, aber auch Unternehmen, die zum Beispiel Catering für Schulen oder Pflegeheime anbieten oder der große Bereich der klinischen Ernährung und der Nahrungsergänzung.
Und nicht zuletzt dadurch, dass das Thema gerade in den letzten Jahren medial sehr an Präsenz gewonnen hat, gibt es auch viele Absolvent*innen, die im Bereich der Kommunikation arbeiten, wie Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Journalismus oder Soziale Medien. Außerdem arbeiten Fachkräfte natürlich in der Beratung, aber nicht nur in der Ernährungsberatung und -therapie, sondern auch in der Verbraucherberatung. Und es gibt auch viele interessante Stellen in Verbänden, Ministerien oder anderen Institutionen wie etwa beim Bundeszentrum für Ernährung.
Wie sieht es mit dem Arbeitsverhältnis aus: Sind die Fachkräfte eher angestellt oder selbstständig?
Sowohl als auch: Es gibt viele Oecotropholog*innen, die angestellt sind, aber auch viele die selbstständig sind. Und es gibt auch die Variante, dass die Fachkräfte in Teilzeit angestellt sind und sich parallel ihre Selbstständigkeit aufbauen.
Selbstständige sind beispielsweise in der Ernährungsberatung und -therapie tätig oder auch als Anbieter*innen ernährungswissenschaftlicher Dienstleistungen. Ihre Auftraggeber sind zum Beispiel Unternehmen, für die sie wissenschaftliche Auswertungen anfertigen. Aber auch in den Bereichen PR, Öffentlichkeitsarbeit und im Fachjournalismus sind viele Selbstständige anzutreffen.
„Das Interesse am Thema Ernährung ist in den letzten fünf bis zehn Jahren stark gestiegen, was auch mit einer hohen Nachfrage nach unserer Disziplin einhergeht.“
Wie entwickelt sich die Arbeitsmarktlage?
Der Ernährungsbranche boomt! Wir im VDOE werten regelmäßig den Arbeitsmarkt nach passenden Stellen aus, die wir unseren Mitgliedern dann zur Verfügung stellen. Und zurzeit ist es tatsächlich so, dass wir mehr Stellen im Angebot haben als arbeitssuchende Mitglieder. Wie ich zu Beginn sagte, ist das Interesse am Thema Ernährung in den letzten fünf bis zehn Jahren stark gestiegen, was auch mit einer hohen Nachfrage nach unserer Disziplin einhergeht und da werden zurzeit für viele Schnittstellen gut ausgebildete Oecotropholog*innen gesucht.
Das liegt natürlich auch daran, dass das Fach mittlerweile etablierter ist. Als ich angefangen habe Oecotrophologie zu studieren, musste ich noch vielen erklären, was das ist. Mittlerweise wissen die Menschen, was wir können. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich die erste Generation der Oecotropholog*innen am Arbeitsmarkt sehr gut bewährt hat.
Wie genau hat die Corona-Pandemie Ihre Mitglieder beeinflusst?
Die Pandemie hat die Branche ganz unterschiedlich getroffen, wie ein paar Beispiele zeigen: Zu Beginn der Pandemie haben die Ernährungspraxen beispielsweise noch die Beratung mit Plexiglaswänden und Hygiene- und Abstandsregeln durchgeführt. Später wurden dann die Beratungen ins Digitale verlegt. Wir als Verband haben die Mitglieder bei den wichtigsten Fragen unterstützt: Was müssen die Praxen beachten? Welche Abstands- und Hygieneregeln gelten zurzeit?
Darüber hinaus hatten die Bereiche mit unterschiedlichen Einschränkungen zu kämpfen: Einerseits war Kurzarbeit zum Beispiel in der Lebensmittelproduktion kein Thema, da dieser Bereich ja zu den systemrelevanten Bereichen gezählt wurde. Andererseits waren die Mitglieder direkt betroffen, die für große Catering-Firmen arbeiten, die sich beispielsweise um die Schul- oder Kitaverpflegung kümmern. Hier waren die Einrichtungen geschlossen und somit sah es dort ganz anders aus.
„Gerade weil die Möglichkeiten nach dem Abschluss so vielfältig sind, ist es wichtig, sich die Tätigkeitsfelder anzuschauen und in die Branchen hineinzuschnuppern.“
Wie kann der Jobeinstieg gelingen?
Berufseinsteiger*innen empfehlen wir immer, während des Studiums viele praktische Erfahrungen zu sammeln. Durch Praktika haben die Absolvent*innen die Möglichkeit, sich einerseits von der Masse abzuheben und sich andererseits selbst ein Bild zu machen, welche Bereiche für sie nach dem Studium interessant sein könnten. Gerade weil die Möglichkeiten nach dem Abschluss so vielfältig sind, ist es wichtig, sich die Tätigkeitsfelder anzuschauen und in die Branchen hineinzuschnuppern.
Und wie sieht es beim Wiedereinstieg aus?
Spannend ist hier, dass es ganz klassische Oecotrophologinnen-Biografien gibt: Viele Frauen sind vor einer Familiengründung angestellt tätig und machen sich dann während der Familienphase selbstständig. Gerade in der Ernährungsberatung ist der Einstieg in die Selbstständigkeit verhältnismäßig leicht, weil kein großes Startkapital gebraucht wird. Deshalb ist es, glaube ich, auch für viele Frauen eine beliebte Perspektive. Es gibt aber natürlich auch diejenigen, die nach der Familienphase in ihren Job zurückkehren oder sich eine Teilzeitstelle suchen.
Ich ermutige Frauen immer wieder dazu, während der Familienphase die Jobtür nicht hinter sich zuzuschlagen, sondern dranzubleiben und sich auch in dieser Zeit auf dem Laufenden zu halten: Welche Ernährungs- oder Branchentrends gibt es aktuell? Welche Unternehmen oder Institutionen wurden neu gegründet? Oder welche gesetzlichen Neuerungen sind gerade in Kraft getreten?
Diese Fragen gehören ja zu den Branchenkenntnissen und hier gut informiert zu sein, ist wichtig für den Wiedereinstieg. Frauen können sich dazu beispielsweise über unsere Aktivitäten oder die der anderen Fachgesellschaften informieren, Workshops besuchen und weiterhin Kontakte knüpfen und netzwerken.
„Wir bieten überregional themenspezifische „VDOE-Netzwerke“ an, unter anderem zu Diabetes, Adipositas oder auch Bildung.“
Welche Möglichkeiten bietet der VDOE zum Netzwerken?
Wir bieten zwei verschiedene Möglichkeiten zur Vernetzung an: Es gibt zum einen die regionale Vernetzung über unsere Gruppen „VDOEregional“. Hier treffen sich unsere Mitglieder vor Ort oder aktuell auch online, um sich untereinander auszutauschen oder sich in Vorträgen oder Diskussionen mit Expert*innen auf dem Laufenden zu halten. Andererseits
Sie vergeben außerdem drei Zertifikate.
Wir bieten seit diesem Jahr die „VDOE-Basisqualifikation Prävention Ernährung“ an, die als Einstieg gedacht ist. Mit dieser Basisqualifikation können unserer Mitglieder im Bereich Prävention tätig werden. Seit inzwischen 25 Jahren gibt es das Zertifikat „Ernährungsberater/in VDOE“, das inzwischen weit über 1.000 Mitglieder haben. Das Zertifikat steht für qualifizierte Ernährungsberatung und -therapie. Darüber hinaus können sich unsere Mitglieder weiter spezialisieren, beispielsweise im Bereich Adipositas oder Gastroenterologie. Dieser Bereich ist aber im Moment noch im Aufbau. Alle Zertifikate bieten wir exklusiv für unsere Mitglieder an.
Welche Vorteile bietet eine Mitgliedschaft für die Jobsuche?
Wir haben neben unseren Workshops und der Jobbörse auch ein Mentoring-Programm mit dem Namen „FUNDAMENT“. Dies gibt es schon seit fast 20 Jahren. Darüber hinaus können unsere Mitglieder auch unser Beratungsangebot in Anspruch nehmen. Dies ist ganz individuell und reicht thematisch von Fragen zur Vergütung bis hin zu Existenzgründungsberatung. Außerdem können uns Mitglieder auch immer ansprechen, wenn sie Kontakt zu anderen Mitgliedern suchen. Das geschieht in letzter Zeit häufiger, wenn Praxen neue Stellen ausschreiben. Auch das Thema Praxisnachfolge spielt zunehmende eine Rolle.
Wer kann Mitglied werden im VDOE?
Im Berufsverband können all diejenigen Mitglied werden, die Oecotrophologie, Haushalts-, Ernährungs- oder Lebensmittelwissenschaften oder ein vergleichbares Studienfach studiert haben oder derzeit studieren.
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