Dreh- und Angelpunkt sein
In der Ehrenamtskoordination ist nicht der Abschluss entscheidend für Arbeitgeber: Bewerber*innen sollten breite soziale und methodische Kompetenzen und die Bereitschaft mitbringen, sich fachlich weiterzubilden zu wollen.

Dreh- und Angelpunkt sein

Ehrenamtskoordination ist ein Arbeitsfeld, das viele Organisationen brauchen – von Naturschutz über Rettungsdienst bis zur Flüchtlingshilfe. Wer hier arbeiten will, sollte Flexibilität, Kommunikationsgeschick und Lust auf persönlichen Kontakt mitbringen.

Text: Katrin Poese 

Was hat das Berufsfeld Freiwilligenkoordination mit einem Rummelplatz zu tun? Erstens: Da sind viele Menschen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, die sich alle dort treffen. Zweitens ist da das Riesenrad-Modell. Dieses Symbol hat die Akademie für Ehrenamtlichkeit – ein Weiterbildungsanbieter für gemeinnützige Einrichtungen – gewählt, um gelungene Engagementförderung zu versinnbildlichen. Das Riesenrad steht auf dem Fundament, das die Organisation für ihre Ehrenamtlichen legt. Das beliebte Fahrgeschäft besteht bekanntlich aus Gondeln, die um eine Mittelachse rotieren. Diese Achse ist der Bezugspunkt, sie hält alles zusammen und am Laufen: Sie ist das Symbol für die Stelle der Ehrenamtskoordination in einer Organisation. 

Aus dem Bild vom Riesenrad ergibt sich schon die zentrale Anforderung dieser Arbeit. Ein*e Ehrenamtskoordinator*in muss es aushalten, ja, sollte es mögen, für viele Menschen der Bezugspunkt, für viele Projekte der Dreh- und Angelpunkt zu sein. Wer den Umgang mit Menschen mag und dabei gut strukturiert ist, ist in diesem Tätigkeitsfeld richtig. So wie Martina Hoffstedt und Regina Sterz. Beide Frauen arbeiten hauptberuflich in der Ehrenamtskoordination, beide in unterschiedlichen Bereichen und in zwei deutschen Organisationen, die über 600 Kilometer voneinander entfernt liegen. Dennoch gibt es zwischen den beiden Frauen einige Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel, dass sie es lieben, einen abwechslungsreichen Berufsalltag zu haben. 

Bei Regina Sterz sieht dieser Alltag so aus: Sie organisiert, plant, verschiebt und sucht Lösungen, während sie in ihrem Büro beim Malteser Hilfsdienst im bayerischen Bistum Eichstätt laufend Anrufe entgegennimmt oder die Arbeit auch mal kurz unterbricht – falls Ehrenamtliche auf einen Kaffee vorbeischauen und etwas besprechen wollen. „Man muss sehr spontan und flexibel reagieren, aber das finde ich auch schön an der Arbeit“, sagt die 54-Jährige. Regina Sterz koordiniert den Ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienst und die Trauerarbeit. In diesen Feldern unterstützen viele Ehrenamtliche die Arbeit der Malteser. 

Berufsfeld für Umsteiger*innen

Gemeinsam haben die beiden Ehrenamtskoordinatorinnen aus Bayern und aus Bremen, Regina Sterz und Martina Hoffstedt, auch den Weg, wie sie in ihre aktuelle berufliche Tätigkeit gefunden haben: Beide haben in ihrem Bereich als Freiwillige begonnen. 

Martina Hoffstedt, heute 55 Jahre alt, hat 2015, als viele geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen, ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe angepackt. Zufällig fiel das mit einer Phase der beruflichen Neuorientierung zusammen. Nach einer kaufmännischen Ausbildung in der Werbung, der Arbeit bei einer Agentur und später in der Gesundheits- und Fitnessbranche sollte etwas Neues kommen.

Schnell kam die Frage auf: Warum nicht hauptberuflich in die Flüchtlingshilfe einsteigen? So traf es sich, dass Martina Hoffstedt als Ehrenamtskoordinatorin für eine Notaufnahmeeinrichtung bei der Arbeiterwohlfahrt einstieg. 2018 wechselte sie zum Diakonissen-Mutterhaus im niedersächsischen Rotenburg an der Wümme. Die Einrichtung der evangelischen Kirche bietet viele Integrationsprojekte für geflüchtete Menschen an, in denen sich rund 60 Ehrenamtliche engagieren: darunter Deutschunterricht, die Kulturküche ohne Grenzen oder eine offene Fahrradwerkstatt.

Auch für Regina Sterz in Bayern führte der Weg in die hauptamtliche Ehrenamtskoordination über das eigene freiwillige Engagement. Die studierte Religionspädagogin und langjährige Heilpraktikerin fing zunächst ehrenamtlich damit an, bei den Maltesern im Hospizdienst mitzuhelfen: Hier begleiten Engagierte sterbende Menschen und deren Angehörige auf dem letzten Weg, bieten Hilfe und Beistand. Als bei den Maltesern die Stelle der Ehrenamtskoordinatorin frei wurde, tat sich eine neue berufliche Perspektive für Regina Sterz auf. Inzwischen ist sie seit neun Jahren dabei. 

Regina Sterz‘ hauptamtliche Kolleg*innen haben entweder eine Qualifikation im sozialen Bereich oder in der Pflege. Je nach den Tätigkeiten der Organisation und nach den Aufgaben sind die formalen Voraussetzungen entsprechend unterschiedlich. Während man für einen Job als Ehrenamtskoordinator*in beim Hospiz Luckau eine mindestens einjährige Ausbildung im sozialen Bereich braucht, möchte die Diözese Rottenburg-Stuttgart bei ihrem*r Referent*in für Ehrenamtsentwicklung gerne einen Studienabschluss aus dem pädagogischen Bereich sehen – für beide Jobs muss man auch Mitglied der Kirche sein.

Der soziale Träger EJF verlangt für die Stelle der Ehrenamtskoordination einen Studienabschluss und möglichst auch berufliche Erfahrung im Bereich Migration – hier geht es unter anderem um Flüchtlingshilfe. Oft sind die formalen Voraussetzungen auch sehr offen gehalten, beispielsweise bei dem Pflegedienstleister European Home Care, der für eine Koordinationsstelle ein abgeschlossenes Studium oder eine abgeschlossene Ausbildung verlangt – gerne aus dem sozialen Bereich, aber nicht zwingend.

Soft Skills entscheidend

Wichtiger als ein bestimmter Abschluss scheinen in der Ehrenamtskoordination jedoch breite soziale und methodische Kompetenzen und die Bereitschaft zu sein, sich fachlich weiterzubilden. In Stellenanzeigen sind beispielsweise Grundkenntnisse im Projektmanagement, ein hohes Maß an Kommunikations-, Vernetzungs- und Organisationsfähigkeit, ein gutes Konfliktmanagement, Erfahrungen in der Teamleitung, ein vorurteilsfreier Umgang mit Menschen, Motivation und Zuverlässigkeit gefordert. 

Auch die Ehrenamtskoordinatorin am ­Diakonissen-Mutterhaus in Rotenburg, Martina Hoffstedt, hat die Erfahrung gemacht, dass Weiterbildungen und ein breites Interesse für soziale Themen sehr hilfreich sind. Schon bevor sie wusste, dass sie einmal in diesem Berufsfeld landen würde, belegte sie Workshops zu Gewaltfreier Kommunikation oder beschäftigte sich mit Supervision, Coaching und Methoden zur Gesprächsführung.

In den vergangenen Jahren hat sie außerdem fachbezogene Weiterbildungen absolviert, zum Beispiel zum Umgang mit Traumata – ein wichtiges Thema in der Arbeit mit geflüchteten Menschen. Auch methodische Fortbildungen zu Kommunikation und Sozialkompetenzen seien wichtig: Dort lernt man beispielsweise, wie man sich von den teils schweren Schicksalen auf gesunde Weise abgrenzen kann, ohne die Nähe zu den Menschen zu verlieren.

Den Eindruck, dass Sozialkompetenzen wichtig sind, hat auch Regina Sterz: Bei aller Freude, die die Arbeit mit den Ehrenamtlichen mache, sei es manchmal auch wichtig, durchgreifen zu können: „Man muss bereit sein, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen“, sagt sie. Dabei helfen eine gute Portion Menschenkenntnis und die Einstellung, dass man es nicht jeder*m recht machen muss. 

Gewinnen, anerkennen, unterstützen

So unterschiedlich die Organisationen sind, in denen Ehrenamtskoordinator*innen, Freiwilligenkoordinator*innen, Referent*innen für Ehrenamtsentwicklung oder Berater*innen für Community Management arbeiten – einige Arbeitsfelder haben sie alle gemeinsam. Egal ob im Hospiz, im Verkehrsclub Deutschland, bei einem privaten Pflegeanbieter oder bei der Kirche – laut dem Riesenradmodell der Engagementförderung rotieren um die Koordinations-Mittelachse die folgenden Aufgaben: die Bedarfsermittlung, die Gewinnung von Ehrenamtlichen, Erstgespräche und Vereinbarungen, Einarbeitung und Ausbildung, die Begleitung und Anerkennung der Engagierten und gegebenenfalls die gelungene Verabschiedung.

In all diesen Feldern geht es um Organisation, um kreative Ideen, flexibles Handeln und gute Planung – und vor allem geht es um die Menschen, die sich engagieren. „Der Andere ist wichtig“, fasst Martina Hoffstedt den Fokus ihres Jobs zusammen. „Ich muss mich in meiner Arbeit zurücknehmen – es geht nicht um mich, sondern um die Ehrenamtlichen und die Geflüchteten.“

Die Ehrenamtskoordinatorin sieht sich im Diakonissen-Mutterhaus als die Stelle, die die Menschen zusammenbringt, als die Vernetzerin. Sie überlegt, welche Ehrenamtlichen zu einem von ihr initiierten Projekt passen. Oder sie unterstützt und begleitet die Engagierten bei ihren eigenen Ideen. Sie baut ein Netzwerk aus regionalen Akteur*innen auf, schreibt Förderanträge, organisiert Ausstellungen oder springt überall dort ein, wo Ehrenamtliche die Hilfe von Hauptamtlichen brauchen.

Herausforderung: Ehrenamtliche halten
 
Wie geht es dem Ehrenamt in Corona-Zeiten? Dazu erhebt Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ) seit 2020 systematisch Daten für das sogenannte Engagement-Barometer. ZiviZ nennt sich selbst „Think & Do Tank“ und gehört zum Stifterverband, einer Gemeinschaftsinitiative von deutschen Unternehmen und Stiftungen. Die Ergebnisse aus der jüngsten Befragung aus dem vergangenen März zeigen, dass Verbände, Infrastruktureinrichtungen und Organisationen der Zivilgesellschaft Probleme damit haben, Ehrenamtliche zu halten. 
 
36 Prozent der rund 38.500 Befragten gaben an, die Kernherausforderung „Engagierte an die Organisation binden“ treffe während der Corona-Pandemie voll zu, weitere 34 Prozent antworteten mit „trifft eher zu“. Mit der Herausforderung, Mitgliederaustritte zu verhindern, sehen sich 37 Prozent voll und ganz sowie weitere 25 Prozent eher konfrontiert – besonders betroffen sind davon Organisationen aus den Bereichen Sport sowie Kultur und Medien. Am wenigsten bedroht von Mitgliederaustritten scheinen Organisationen aus dem Bereich soziale Dienste und Gesundheit zu sein: Hier sagten 25 Prozent der Befragten, die Verhinderung von Austritten sei voll und ganz eine Herausforderung, 20 Prozent antworteten mit „trifft eher zu“. www.ziviz.de/corona

Besonders wichtig sei es dabei, den Kontakt mit den Engagierten zu halten: „Als Erstes schaue ich morgens auf mein Handy – was braucht er oder sie gerade, wo kann ich unterstützen?“, erklärt sie. Auch diverse Angebote für die Freiwilligen, von Einzelgespräch über Supervision bis hin zum gemeinsamen Wanderausflug, gehören dazu. Martina Hoffstedt möchte so Anerkennung zeigen und die Ehrenamtlichen in ihrer Weiterentwicklung unterstützen.

Welchen Stellenwert welche Arbeitsbereiche einnehmen, ist je nach Organisation unterschiedlich. In einer Stellenanzeige gab der Verkehrsclub im Saarland beispielsweise an, dass die Stelle der Ehrenamtskoordination auch viel Öffentlichkeitsarbeit umfasse. In der Ausschreibung der Diözese Rottenburg-Stuttgart lag ein Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden, lokalen Einrichtungen und Kommunen. Hinzu kommen außerdem noch jene Stellen, in denen die ­Betreuung der Ehrenamtlichen einen Teilaspekt ausmacht. Solche Ausschreibungen finden sich regelmäßig im WILA Arbeitsmarkt. 

So hat der NABU vor kurzem eine Stelle als Leiter*in in der Bezirksgeschäftsstelle ausgeschrieben, mit der das Ehrenamt stärker unterstützt werden soll. Die Position wird gesehen als „das zentrale Bindeglied zwischen der NABU-Landesgeschäftsstelle und den örtlichen NABU-Gruppen“. Viele Verbände bilden ihre Mitarbeiter*innen gezielt für die speziellen Anforderungen in der Ehrenamtskoordination aus – beispielsweise veranstalten das Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariterbund oder die Caritas dazu interne Schulungen. Es gibt aber auch offene Lehrgänge bei unabhängigen Anbietern. 

Ausbildung und Supervision

Ausbildung ist nicht nur für die Koordinatorinnen und Koordinatoren selbst wichtig – oft müssen auch die Ehrenamtlichen für ihre Tätigkeit qualifiziert werden. Das betrifft zum Beispiel Engagement in den Bereichen Pflege, Flüchtlingshilfe, Rettungsdienst, Trauerarbeit oder Jugendhilfe.  Hier haben Qualifizierungsmaßnahmen und Supervision einen besonders hohen Stellenwert. Der Job der Ehrenamtskoordinator*innen ist es, das zu organisieren. 

Regina Sterz von den Maltesern hat besonders viel mit der Gewinnung, Auswahl, Ausbildung und Supervision ihrer Ehrenamtlichen im Hospizdienst zu tun. Wer freiwillig Sterbende und deren Angehörige im letzten Lebensabschnitt begleiten will, muss dafür einen Kurs belegen, der rund neun Monate dauert. In dieser Zeit führen Regina Sterz und ihre hauptamtlichen Kolleg*innen auch Gespräche mit den Interessierten, um deren Eignung, Belastbarkeit und Motivation zu prüfen. 

Nicht alle Menschen können das anspruchsvolle Ehrenamt eines*r Hospizbegleiter*in ausfüllen – notfalls müssen Freiwillige aus der Ausbildung wieder aussteigen. „Das ist nicht angenehm, aber es ist notwendig, weil wir da eine große Verantwortung haben“, erklärt Regina Sterz. Sie muss mit einer Fluktuation von einem Drittel bis zur Hälfte der Kursteilnehmer*innen umgehen. Wer bleibt, wird später in verpflichtenden Teamsitzungen und Supervisionen engmaschig unterstützt. Dabei passiert es automatisch, dass man als Ansprechperson sehr persönliche Dinge über die Ehrenamtlichen erfährt. 

Zwar sind weder der Einführungskurs noch die Supervision therapeutisch, dennoch geht es darin natürlich auch um eigene Trauererfahrungen der Ehrenamtlichen, um belastende Fallbeispiele, um Emotionen und ganz persönliche Zugänge zur Hospizarbeit. Das ginge nicht, wenn keine funktionierende Beziehung zwischen Hauptamtlichen und Engagierten da wäre. „Es sind keine Ehrenamtlichen dabei, mit denen man nur auf professioneller Ebene zu tun hätte – ich mag alle als Menschen gerne“, sagt Regina Sterz. Diese Beziehungsarbeit sieht sie als Voraussetzung für eine gelungene Ehrenamtskoordination: „Man muss bereit sein, sich persönlich einzulassen.“

Mehr als nur der Job

Diese starke persönliche Note ihrer Arbeit bestätigt auch Martina Hoffstedt vom Diakonissen-Mutterhaus Rotenburg: „Ich erfahre viel über die Menschen, ich weiß viel über die Beweggründe für das Ehrenamt, ich kenne auch einen Teil des Lebenslaufs und weiß, was die Menschen interessiert und begeistert.“ Die Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen ist oft persönlich, vertraulich, beinahe freundschaftlich. Das muss man mögen, um als Ehrenamtskoordinator*in erfolgreich und zufrieden zu sein. 

Regina Sterz vom Maltester Hilfsdienst in Eichstätt fasst es so zusammen: „Es geht nicht zu sagen: Das ist mein Job, und um 17 Uhr ist Schluss.“ In einem dringenden Fall telefoniert sie auch noch um 19 Uhr mit den Freiwilligen. Das macht ihr nichts aus – diese Einstellung teilt sie mit Martina Hoffstedt. Die beiden haben eben nichts dagegen, wenn sich die Arbeit mit Ehrenamtlichen hin und wieder anfühlt wie ein Besuch auf dem Rummelplatz.

  • Infodienst-Trainee-Stellen Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
  • Die Abonnentinnen und Abonnenten erhalten durch den redaktionellen Teil und die Stellen-Datenbank einen breiten und dennoch konkreten Überblick über derzeitige Entwicklungen in Berufsfeldern und Branchen, können sich anhand der ausgewählten Jobs beruflich orientieren und bleiben so bei der Jobsuche am Ball. Unsere Erfahrung: Viele Abonnent*innen stoßen auf Tätigkeiten, die sie gar nicht auf dem Schirm hatten.

Weitere WILA-Angebote