Geisteswissenschaftler: Zukunft gibt´s nur mit uns
Im Studium Bücher wälzen, danach Taxi fahren? Von wegen. Foto: Fotolia.de / .shock

Geisteswissenschaftler: Zukunft gibt´s nur mit uns

Wir „Geiwis“ sind wichtiger denn je: Ohne uns bleiben viele aktuelle Probleme unlösbar. Das sieht auch die bisherige Forschungsministerin so – obwohl sie selbst Mathematik studiert hat.

Von Annika Schneider

Die Worte, die Johanna Wanka gewählt hat, gehen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern runter wie ein kühles Radler im Sommer: „Angesichts aktueller Herausforderungen einer globalisierten Welt mit ihrer kulturellen Vielfalt sind die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften deutlicher gefragt denn je“, stellt die bisherige Bundesforschungsministerin fest.

„Sie liefern einen unverzichtbaren Beitrag für das Verständnis der gesellschaftlichen Gegenwart in Deutschland, Europa und weltweit, arbeiten an der Erschließung und Bewahrung des kulturellen Erbes mit und tragen zur Wertschätzung und Verwirklichung von Vielfalt und Zusammenhalt bei.“

Diese Aussage tut gut. Wer eines der typischen „Taxifahrer-Fächer“ studiert hat, ist es sonst ja eher gewöhnt, auf eine Mischung aus Mitleid und Kopfschütteln zu stoßen.

Nach dem Motto: „Du kannst ja gerne Lateinamerikanistik studieren. Dann wundere dich aber nicht, wenn du hinterher keinen Job hast.“

Nach der dreißigsten Diskussion, warum die Geisteswissenschaften wichtig sind, hat man irgendwann keine Lust mehr. Es ist ja auch schwierig zu erklären, was wir können. Ein Arzt hat bis zum Ende seines Studiums Tausende Fachbegriffe gelernt. Er kann seinen Anatomieatlas hochhalten und sagen: Das weiß ich auswendig. Eine Informatikerin beherrscht nach dem Masterabschluss mehrere Programmiersprachen, und ein Mathematiker führt komplexe Beweise – dass solche Fähigkeiten hart erarbeitet sind, leuchtet jedem ein.

Was schwierig (und sinnvoll) daran ist, einen philosophischen Text zu interpretieren, ist den meisten Nicht-Geisteswissenschaftler/innen hingegen viel weniger klar. Der Nutzen einer Diskursanalyse ist nun einmal nicht so einleuchtend wie der einer Blinddarmoperation. Denken, reden und schreiben kann doch jeder, oder?

Bitte diskutieren!

Es lohnt sich gerade jetzt, die ungeliebten Diskussionen über die Studienfachwahl noch einmal aufzunehmen – mit den Mitstudierenden, der Familie, dem Freundeskreis. Die Zeitungen servieren uns gerade auf dem Silbertablett die Argumente, warum eine Welt aus BWLerinnen, Informatikerinnen, Ingenieurinnen, Ärztinnen und ihren männlichen Gegenparts nicht ausreicht, wenn es um unsere Zukunft geht.

Im Statement der ehemaligen Bundesbildungsministerin steckt es ja schon drin: Aktuelle Probleme, die die ganze Nation beschäftigen, schreien geradezu nach geisteswissenschaftlichen Kompetenzen. Da geht es zum Beispiel um Zuwandererkinder aus verschiedenen Kulturen und Einwanderergenerationen.

"Wir Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler dürfen uns da ganz selbstbewusst als Problemlöser bezeichnen."

Wie muss unser Schulsystem beschaffen sein, damit diese Kinder darin gut aufgehoben sind und genauso viel lernen wie alle anderen? Die Soziologie, die Psychologie, die Sprachwissenschaften, die Regionalwissenschaften und die Pädagogik können zu der Frage viel beitragen. Oder denken wir an die Renaissance rechtsextremer Parteien. Um ihren Aufstieg zu verhindern, müssen wir wissen, warum und womit sie Wählerstimmen erringen. Die Politologie hat dazu genauso etwas zu sagen wie die Medien- und Kommunikationswissenschaften. 

Die Liste der aktuellen Themen, die ohne Geisteswissenschaften nicht zu lösen sind, ließe sich noch seitenlang weiterführen: Wie überzeugen wir Regierungen vom Handlungsbedarf angesichts des Klimawandels? Unter welchen Voraussetzungen wenden sich Menschen dem Terrorismus zu? Wie verändert die Technologisierung unser Zusammenleben?

Wir Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler dürfen uns da ganz selbstbewusst als Problemlöser bezeichnen. Auch die Politik scheint das erkannt zu haben. Anlass von Johanna Wankas Worten war der Abschluss eines Programms, mit dem der Bund in den vergangenen fünf Jahren gezielt Geld in die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften gesteckt hat.

Mit den Mitteln wurden unter anderem Forschungszentren eröffnet und Forschungskollegs gegründet. Man ist wohl der Meinung, gut investiert zu haben: Das nächste Förderprogramm startet schon 2018. Voraussetzung ist, dass auch die neue Regierung weiß, dass es ohne Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften nicht geht.

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