„Seid neugierig auf das Berufsleben!“
Mareike Menne berät Hochschulen zum Thema Berufsorientierung und führt Workshops zu Berufseinstiegen durch. Foto: Jan Braun

„Seid neugierig auf das Berufsleben!“

Viele Studentinnen und Studenten schauen zu ängstlich auf das Leben nach der Uni. Gleichzeitig bereiten sie sich zu schlecht vor, sagt die Berufsforscherin Mareike Menne.

Sie halten an Hochschulen Vorträge und Workshops zu Berufsvorbereitung. Mit welchem Gefühl blicken die meisten Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler auf den Berufseinstieg? 

Mareike Menne: Viele konzentrieren sich auf ihr Studium und schieben die Frage nach dem Berufseinstieg lange auf. Dabei überwiegt der Wunsch, nach der langen Ausbildungszeit endlich eine feste Stelle anzutreten und klare geordnete Verhältnisse für die Zukunft zu schaffen. Aber so einfach ist es leider nicht.

Denn nach dem Studium kommt in der Regel eine weitere Phase der Unsicherheit und der praktischen Ausbildung, wie etwa ein Volontariat, ein Referendariat, eine Trainee-Stelle oder eine Promotion. Klassische Anstellungsverhältnisse sind rar gesät und befristet. Man kommt also noch lange nicht in geordneten Verhältnissen an. Diese Erkenntnis führt bei vielen Studenten häufig erst einmal zu Frust und zu einem Durchhänger.

  • Zur Person: Mareike Menne hat Geschichte, Kulturwissenschaftlichen Anthropologie und Medienwissenschaften studiert und anschließend promoviert und habilitiert. Heute ist sie Privatdozentin, Autorin und Gründerin eines Buchverlages. Sie berät Hochschulen zum Thema Berufsorientierung und führt Coachings und Workshops zu Berufseinstiegen und Karriereplanung durch.

Was denken viele Studierende denn über den Berufseinstieg?

Menne: Das verändert sich oft im Laufe des Studiums. Zu Beginn sind die meisten freudig und haben auch schon eine relativ klare Vorstellung, in welche Richtung es für sie gehen kann. Zum Ende des Studiums ist häufig beides verloren gegangen. Oft herrschen dann Angst und Unsicherheit – und gleichzeitig kaum Detailwissen über mögliche Berufsfelder und die möglichen Einstiege. Die Studierenden arbeiten ihre ersten groben Berufsideen nicht weiter aus. 

Woran liegt das? 

Menne: Das hat zum einen institutionelle Gründe. In geisteswissenschaftlichen Studiengängen ist die Berufsorientierung nicht nachhaltig in das Studium integriert. Zwar gibt es einzelne Informationsveranstaltungen und auch Pflichtpraktika. Aber deren Inhalte und Erfahrungen werden nicht mit den eigentlichen Studiumsinhalten verknüpft.

"Ich habe schon viele Berichte gehört, in denen von der Kanzel entmutigend über die späteren Jobaussichten gesprochen wird."

Außerdem fehlt es an individueller Betreuung und Beratung. So entsteht häufig die Situation, dass die Studierenden sich mal hier und dort ein bisschen informieren, aber eben nicht dauerhaft, in der Tiefe und moderiert mit ihren eigenen Berufswünschen und den entsprechenden Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt beschäftigen.

Dazu kommt: Die meisten Dozenten und Professoren haben kein eigenes Netzwerk zur Arbeitswelt außerhalb der Universität. Ich habe schon viele Berichte gehört, in denen von der Kanzel entmutigend über die späteren Jobaussichten gesprochen wird. Da wird in der ersten Vorlesung gesagt: „Warum werden Sie nicht Klempner? Hier sind alle Rohre kaputt.“ Oder: „Ich rate jedem, ins Lehramt zu wechseln. Da haben Sie was Sicheres.“ So etwas setzt sich bei den jungen Menschen fest.

Man liest ja häufig, dass jeder Mensch einen Traumjob im Kopf hat. Entspricht das eigentlich der Realität?

Menne: Mein Eindruck ist, dass viele Studentinnen und Studenten ganz anders denken. Viele sind zum Beispiel regional stark verwurzelt. Sie wollen einfach nicht weg und hoffen darauf, nach dem Studium irgendetwas in der Heimatregion zu finden. Wenn man in einer Metropole wie Köln, Hamburg oder Berlin lebt, kann das funktionieren. Aber je weiter man in ländliche Regionen geht, desto schwieriger wird es.

Gerade in den Geisteswissenschaften ist der Frauenanteil sehr hoch. Hier zeigt sich ein klassisches Rollenverhalten: Die Studentinnen richten sich in der Ortswahl nach ihrem Partner und ziehen die Stabilität der Beziehung der eigenen Karriere, den beruflichen Wahlmöglichkeiten, ja, selbst der inhaltlichen Affinität des Jobs vor.

Ich verstehe die Gedanken dahinter, finde es aber sehr schade. Wenn junge Frauen ihre Berufswünsche und ihre Berufsorientierung auf die lange Bank schieben, im Pflichtpraktikum die erstbeste Möglichkeit auswählen und später extrem pragmatisch irgendeinen Job annehmen, machen sie viel zu wenig aus ihren Möglichkeiten. Sie verdienen übrigens – vermutlich aus diesem Grund – auch deutlich weniger Geld als ihre Kommilitonen.

Sie sprachen zu Beginn davon, dass viele sich nach einem festen Job sehnen. Aber ob im Journalismus, in der Buchbranche, im Bildungssektor oder in der Wissenschaft: Es dominieren über viele Jahre befristete Verträge – oder die Freiberuflichkeit. Wie blickt die junge Generation auf die Selbstständigkeit?

Menne: Für viele ist es bitter, wenn der Traum von der Festanstellung platzt. Die Selbstständigkeit gilt als schlechtere Wahl, denn hier dominiert in akademischen Kreisen das Bild der prekären Freiberufler. Sie ist das Gegenteil von dem, was sie wollen und steht für finanzielle Unsicherheit, unklare Berufsbilder, sich verkaufen müssen und damit das Eingeständnis, gescheitert zu sein.

Es gibt kaum Wissen darüber, dass viele Freiberuflerinnen und Freiberufler erfolgreich und glücklich leben. Die Freiberuflichkeit lässt sich zum Beispiel oft sehr gut mit Familie verbinden und auch mit dem Wunsch, in der Region zu bleiben. Und man gehört nicht zwangsläufig zum Prekariat! Aber dafür muss man sich natürlich intensiv auf die Freiberuflichkeit vorbereiten.

Auch hier sind die Weiterbildungs-Angebote der Hochschulen dürftig und erkennen Geisteswissenschaftler nicht als Zielgruppe. Es wird häufig über Unternehmensformen, Kapitalbeschaffung und Businesspläne informiert. Dabei spielt das für Freiberufler in der Kultur- und Kreativwirtschaft eine untergeordnete Rolle.

Freiberufler werden auch nur selten als Vorbilder gezeigt, obwohl es zahlreiche erfolgreiche Gründerinnen und Gründer gibt. Es wird eher die Skepsis kultiviert, Freiberufler machten sich abhängig von ihren Geldgebern. Und hier schließt sich der Kreis zur Attraktivität der Festanstellung: Sie suggeriert, dass das Geld aus der Steckdose komme und wir Geisteswissenschaftler uns allein auf Inhalte konzentrieren dürften.

  • Brotgelehrte-BuchZum Buch: Im Buch „Brotgelehrte“ stellt Mareike Menne zahlreiche Berufsmöglichkeiten für Geisteswissenschaftler vor. Die Berufe sind in Form von Steckbriefen gestaltet mit zahlreichen weiteren Infos und Links zur Vertiefung. So erhalten Studierende einen ersten Einblick und kommen auf neue Jobideen. Das Buch ist aus dem gleichnamigen Blog von Mareike Menne entstanden: https://brotgelehrte.wordpress.com
  • Mareike Menne: Brotgelehrte, ISBN 978-3-943380-27-9, 14.90 EUR, 210 Seiten. 

Was würden Sie Studenten raten, die derzeit mitten im Studium sind?

Menne: Seid neugierig! Fangt an, euch aktiv und vor allem dauerhaft mit euren Berufswünschen und Berufsmöglichkeiten auseinanderzusetzen. Macht Euren beruflichen Werdegang zu Eurem Studienprojekt. Sammelt Berufsbezechnungen, etwa mithilfe der Ausschreibungen im WILA-Arbeitsmarkt. Aus denen könnt Ihr auch Anforderungsprofile erstellen und mit Eurem Kompetenzprofil vergleichen. Verschafft Euch einen Überblick über die Arbeitgeber Eurer Region insgesamt und mögliche Arbeitsbereiche an unerwarteten Orten.

Auch auf Jobmessen, Netzwerk-Treffen oder Veranstaltungen von Berufsverbänden bekommt man viel mit. Nutzt den ersten Besuch zum Lernen und Ausprobieren: Welche Sprache, welche Umgangsformen werden gepflegt, wie kann ich auf unterschiedliche Gesprächspartner reagieren?

Mit der Zeit wächst die Kompetenz, sich professionell im beruflichen Umfeld zu bewegen.  All diese Besuche sollte man über mehrere Jahre pflegen. Nur so lernt man dauerhaft Berufstätige kennen und bekommt dann möglicherweise Jobangebote oder Informationen, wenn man sie braucht: in der Abschlussphase, wenn man eben keine Zeit hat, sich auch noch Informationen über Arbeitsmärkte und deren Spielregeln zu verschaffen.   

Oft bekommt man bei Netzwerk-Veranstaltungen auch mögliche Berufsentwicklungen mit, die hochgradig dynamisch sind. Beispiel Social Media Manager: Das gesamte Berufsfeld ist quasi innerhalb eines Studienzyklus entstanden und hat sich professionalisiert. Hier gibt es mittlerweile einen Berufsverband, der Standards festlegt.

Und zuletzt sollten sich Geisteswissenschaftler auch nicht darauf verlassen, dass andere ihnen ihre Kompetenzen vordefinieren, und sie sich nicht mehr darum zu kümmern brauchen. Sie müssen sie erkennen, weiterentwickeln und nutzbar machen.

Was meinen Sie damit konkret?

Menne: Viele Geisteswissenschaftler verlassen sich auf die sogenannten Schlüsselkompetenzen als Kriterium für den Berufseinstieg, etwa Textkompetenz oder analytische Denken.  Und weil diese den Geisteswissenschaften allgemein zugeordnet werden, vertiefen Studierende diese Kompetenzen nicht. Doch der Blick auf Schlüsselkompetenzen nivelliert erstens die Eigenarten der geisteswissenschaftlichen Disziplinen und etabliert auf dem Arbeitsmarkt das Bild der Generalisten.

Entscheidend für fachliche Laufbahnen sind jedoch Fachkompetenzen. Wer also gerne einen Beruf mit Textarbeit ausüben will, muss das Lesen, Schreiben, Redigieren  professionalisieren und nicht nur intuitiv abrufen, also zum Beispiel journalistisches Schreiben erlernen oder das Handwerk des Werbetexters oder Lektors. Das ist die Voraussetzung für einen inhaltlich und sozial angemessenen Berufseinstieg.

Vielen Dank! 

Das Interview führte Benjamin O'Daniel. 

  • Infodienst-Interview-MenneDas Interview ist im WILA Arbeitsmarkt für Berufe in Bildung, Kultur und Sozialwesen erschienen. Jede Woche werden dort über 400 aktuelle Jobs speziell für Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen zusammengestellt und nach interessanten Tätigkeitsgebieten sortiert. So erhalten die Abonnent/innen einen Überblick, kommen auf neue Ideen und bleiben bei der Jobsuche am Ball. 
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