"Selbst den eigenen Job schaffen - das war schon immer gang und gäbe": © WavebreakMediaMicro / Fotolia.de

"Geistes- und Sozialwissenschaftler sollten selbstbewusster auftreten"

Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Janna Degener sprach mit ihm über die Beschäftigungsfelder und Verdienstmöglichkeiten in der Kulturwirtschaft.

 WILA Arbeitsmarkt: Was ist das überhaupt, die "Kulturwirtschaft"?

Olaf-ZimmermannOlaf Zimmermann (Foto: Tim Flavor): Die Kulturwirtschaft ist ein Sammelsurium von verschiedenen Arbeitsfeldern. Von der Tätigkeit in einem Musicalunternehmen bis hin zur Arbeit als freier Computerspiele-Entwickler ist da alles dabei. In der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es 1,4 Millionen Beschäftigte. Dabei sind die Freien eingerechnet, weil der Anteil der Selbstständigen im Bereich der Kulturwirtschaft sehr groß ist.

Die Kulturwirtschaft macht im Jahr einen Umsatz von 150 Milliarden Euro. Damit ist sie einer der größten Teilmärkte überhaupt in Deutschland, fast so groß wie die Automobilindustrie und sogar größer als die chemische Industrie. Wir reden von einem der am stärksten expandierenden Märkte in Deutschland.

Der Wermutstropfen ist dabei natürlich, dass die Beschäftigungsbereiche prekär sind und der einzelne Mitarbeiter hier bei Weitem nicht so viel verdient wie im Automobilbereich oder in der chemischen Industrie. Die Umsätze, die Gewinne und auch die Zahl der Mitarbeiter sind sehr ungleich verteilt. Es gibt viele Solo-Selbstständige und Kleinbetriebe, die über einen bis drei Mitarbeiter verfügen – in Strukturen, die oft etwas mit Selbstausbeutung zu tun haben. 

Welche Rolle können Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen in der Kulturwirtschaft spielen?

Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen sind dafür prädestiniert, in der Kulturwirtschaft zu arbeiten. Denn wir brauchen in der Kulturwirtschaft umfassend gebildete Menschen, die auch Wissen über Dinge haben, die auf den ersten Blick gar nicht so wissenswert sind, weil man sie nicht unmittelbar ökonomisch verwerten kann.

Geistes- und Sozialwissenschaftler kennen sich in einem Bereich aus und können auf dieser Basis Einschätzungen treffen. Das ist wichtig, weil wir von innovativen Berufsfeldern sprechen, bei denen in der Regel noch nicht klar ist, was sich morgen, übermorgen und insbesondere langfristig entwickeln wird. Juristen, Volkswirte und BWLer haben nicht so einen universellen Blick auf die Dinge, sie sind viel deutlicher auf ein bestimmtes Thema fokussiert.

Dennoch spielen Geistes- und Sozialwissenschaftler in der Kulturwirtschaft nicht unbedingt die Rolle, die sie eigentlich spielen könnten. Viele andere Berufe, besonders im Bereich der Juristerei, bemächtigen sich der Kulturwirtschaft, weil sie über spezielle Fähigkeiten verfügen: Juristen können Themen in kleine Stücke zerlegen, um sie praktisch umsetzbar zu machen. Das ist eine ganz wichtige Arbeitstechnik.

Aber die Geistes- und Sozialwissenschaftler müssen erstmal die Ideen liefern, die dann ‚zerstückelt‘ werden können. Im Computerspielemarkt geht es zum Beispiel darum, ob ich in Zukunft nur noch düstere Landschaften haben möchte, wo Menschen sich letztlich auf die verschiedenste Art und Weise totschießen, oder ob ich auch in andere Sphären und Welten hineingehen kann. Die Vorstellungen dafür müssen von Geistes- und Sozialwissenschaftlern mit einer universellen Ausbildung kommen, die Umsetzung und Programmierung können dann andere übernehmen.

Wie können sich Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen fit machen, um einen Einstieg in die Kulturwirtschaft zu finden?

Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen sollten nicht allzu früh daran denken, sich für die Wirtschaft fit zu machen. Sie haben die Chance, sich nicht fit machen zu müssen. Stattdessen dürfen sie einfach studieren,  und sie müssen keine Antwort darauf finden, wo sie später mal arbeiten wollen. Sie können sich Wissen aneignen, einen weiten Blick bekommen und sich dann irgendwann – wenn überhaupt – Gedanken darüber machen, wie es weiter geht.

Im ersten oder zweiten Semester sollen Geistes- und Sozialwissenschaftler nicht über ihre Erwerbschancen nachdenken. Im nutzlosen Bereich kann man besonders Nützliches lernen. Alles andere, wie die Dinge praktisch gemacht werden, das kann man später immer noch lernen in einem Kurs oder per Learning-by-Doing. Es ist zutiefst bedauerlich, wenn Geistes- und Sozialwissenschaftler selbst den ‚Wert der Nutzlosigkeit‘ nicht achten.

Geistes- und Sozialwissenschaftler sollten auch selbstbewusster auftreten. Sie sind eine hochausgebildete Gruppe, und mit diesem Selbstbewusstsein sollten sie auch in die Arbeitswelt gehen. Wenn sie keinen Arbeitsplatz in einem schon existierenden Unternehmen finden, dann müssen sie ihn sich eben selbst schaffen. Gerade im Kulturbereich war das immer schon gang und gäbe. Sie verdienen dann vielleicht nicht unbedingt viel. Aber sie haben ein erfülltes Berufsleben.

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