Bunte Hunde in der Consulting-Welt
Arbeiten in der Consulting-Branche - einige Geisteswissenschaftler/innen sind auch dabei. Foto/Copyright: © Robert Knechte / Fotolia.de

Bunte Hunde in der Consulting-Welt

Geisteswissenschaftler/innen in der Wirtschaft: Anzugträger, Sparprogramme, Nachtarbeit? Unternehmensberatungen bieten auch andere Perspektiven, abseits der Klischees.

Text: Janna Degener

Seitdem Josef Löffl denken kann, hat er seine gesamte Leidenschaft in die Beschäftigung mit der römischen Geschichte gesteckt. In der Postdoc-Phase wurde dem Historiker dann klar, dass die Wissenschaft ihm keine weitere Perspektive bot – wenn er nicht gerade als armer Gelehrter von Harz IV leben und in einer Eckkneipe dozieren wollte.

Von Consulting und selbst von Big Playern wie McKinsey hatte er noch nie etwas gehört, bis ein Freund ihn darauf aufmerksam machte, dass er sich doch einmal bei einer Unternehmensberatung bewerben könnte. Kurz darauf war er als Berater für die Firma 3con tätig, die Unternehmen im Bereich der chemischen Industrie berät. Er blieb zwar nur ein Jahr dort, sagt aber heute, dass dieses Jahr seine Denk- und Arbeitsweise stärker geprägt hat als zehn Jahre an der Uni.

Oliver Krone dagegen hatte schon während seines Magisterstudiums in Politikwissenschaften, Rechtswissenschaften und Pädagogik für die freie Wirtschaft gearbeitet. In dieser Periode hat er in der Vertriebssteuerung für einen Spezialversicherer die Anfragen an Drittversicherer mit erarbeitet. Weiterhin hat er auch Spezialanalysen zum Verkauf weiterer Versicherungen an Kunden aus anderen Versicherungssparten vorbereitet.

Diesen verrückten Menschen wollten sie einfach mal kennenlernen."

Weil er die Arbeitsmarktsituation für Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen nach seinem Studienabschluss (Ende der neunziger Jahre) als schwierig empfand, sattelte er einen MBA auf. Zunächst war er dann im Bereich der Auftragsabwicklung eines Telekommunikationsunternehmens für die Prozesssteuerung und das Prozessdesign tätig. Wegen der IT-Erfahrungen, die er hier gesammelt hatte, konnte er sich anschließend als Business Analyst um die Einführung einer betrieblichen Standardsoftware kümmern.

Zu diesem Thema promovierte er schließlich, bevor er dann bei der Promatis Software GMBH, einer Unternehmensberatung im IT-Bereich, in den Consulting-Bereich einstieg. Hier hat er heute auf der einen Seite die Aufgabe eines sogenannten ‚Funktionalen Beraters‘ in den Feldern Logistik und Finanzen. Auf der anderen Seite ist er Coach für neue Mitarbeiter/innen und führt diese in die Projektarbeit und die Standardsoftware ein.

Es gibt wohl nur wenige Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen, die ihren Werdegang gezielt auf eine Karriere in einer Unternehmensberatung ausrichten. Das liegt sicherlich auch am Berufsbild und der Branche, die für viele als Sinnbild eines rücksichtslosen und ausbeuterischen Kapitalismus steht und deren beratende Mitarbeiter/innen nicht selten als überheblich und weltfremd karikiert werden. Dennoch gibt es Menschen, die wie Josef Löffl mehr oder weniger zufällig in den Consulting-Bereich hineinrutschen oder sich wie Oliver Krone bewusst dafür entscheiden.

Interdisziplinäre Vordenkerinnen und Vordenker

Laut einer Marktbefragung des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater steigen immerhin drei Prozent der Junior-Berater mit einem medizinischen oder sprach- und kulturwissenschaftlichen Studienhintergrund in den Consulting-Bereich ein. Neben Betriebswirtschaftlern, Wirtschafts- und auch Naturwissenschaftlern haben also auch Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen durchaus Chancen, in der Branche Fuß zu fassen. Carsten Baumgärtner, Chef-Recruiter bei der Boston Consulting Group, betont gegenüber den Informationsdiensten WILA Arbeitsmarkt: „Wir stellen auch Geistes- und Sozialwissenschaftler ein, weil wir global unsere Kunden in den verschiedensten Disziplinen beraten. Daher suchen wir neben Wirtschaftswissenschaftlern ungefähr zur Hälfte auch Berater mit diversen anderen Studienhintergründen – so auch Geistes- und Sozialwissenschaftler.“

Josef Löffl war als Unternehmensberater tatsächlich in ein interdisziplinäres Team aus Physikern, Philosophen und Vertretern anderer Fachrichtungen eingebunden, während Oliver Krone aufgrund des stark technischen Umfelds in seinem Bereich der einzige Mitarbeiter mit geistes- oder sozialwissenschaftlichem Hintergrund ist. „Ich war und bin für meinen Arbeitgeber interessant, weil ich in der Promotion und durch meine Tätigkeit im Umfeld von betrieblichen und interbetrieblichen Schnittstellen gelernt habe, interdisziplinär zu arbeiten“, meint Oliver Krone.

Dazu komme, dass er in der Lage sei, über den Tellerrand des klassischen Beraterjobs und der IT-Branche zu schauen und dass er vielfältige Methodenkenntnisse mitbringe und im richtigen Moment die richtige Methode auswählen könne. „Es gibt keine Patentrezepte, um die Herausforderungen der einzelnen Kunden zu lösen“, erläutert der Politikwissenschaftler, „da ist eine Menge Kreativität gefragt, die ich zusammen mit meinen Kollegen und den Entwicklern ausloten muss. Dabei muss ich natürlich die zeitlichen und finanziellen Ressourcen im Blick haben.“ Wichtig sei in seinem Job schließlich auch Technikaffinität und die Bereitschaft, sich in diesem Feld weiterzubilden.

Auch Josef Löffl hat während seiner Zeit als Unternehmensberater die Bedeutung des interdisziplinären Arbeitens verstanden: „In der Beratertätigkeit geht es immer darum, Probleme zu lösen. Es hilft und befördert die Kreativität, wenn sich dafür Menschen zusammenfinden, die unterschiedlich gestrickt sind. Wenn man Freude am Nachdenken hat, ist es zunächst einmal völlig egal, welchen fachlichen Background man mitbringt.“

Grundvoraussetzung dafür sei aber, dass man lerne, die Sprache der Anderen zu verstehen, und dass die verschiedenen Parteien in der Lage seien, aufeinander zuzugehen: „Ich habe anfangs mit dem geschäftsführenden Partner zusammengearbeitet, einem Physiker. Es dauerte eine Weile, bis wir nicht mehr aneinander vorbeisprachen, sondern uns gegenseitig verstanden. Dazu kommt: Wenn einer einen missionarischen Charakter hat und die anderen an seinen großartigen Ideen teilhaben lassen will, funktioniert die Zusammenarbeit nicht. Wenn aber alle davon überzeugt sind, dass jeder Beitrag wichtig ist, um ein Problem im Team zu lösen, dann kann das eine wahnsinnig tolle Erfahrung sein.“

Josef Löffl war anfangs gar nicht so überzeugt davon, der Richtige für den Beraterjob zu sein: „Auf der Website der Unternehmensberatung wurde propagiert, man suche die Besten, die Elite, diejenigen, die bereit sind, die Extrameile zu gehen und so weiter und so fort. Ich habe mich zwar durchaus als Abenteurertyp betrachtet, wusste aber schnell, dass die Welt der klassischen Altertumswissenschaften mit der Welt der Beratung zumindest auf den ersten Blick überhaupt nichts zu tun hat“.

"Versuchen Sie einmal, auf einem Blatt Papier zu erklären, warum das römische Reich untergegangen ist."

Den Einstieg schaffte er dennoch problemlos: „Da ich meiner Bewerbung kein Bild beigelegt hatte, suchte mich mein Arbeitgeber bei Sichtung meiner Bewerbung per Google. So fand er ein Foto, das mich im Kontext der experimentellen Archäologie in römischer Montur zeigt. Angeblich war das der Anlass, mich einzuladen – diesen verrückten Menschen, der offenbar eine hohe intrinsische Motivation mitbringt, wollte man einfach mal kennenlernen“, erzählt er.
 

Tatsächlich brauchte Josef Löffl Zeit, um sich in der neuen Arbeitskultur zurechtzufinden: Statt sich mit römischen Gladiatoren zu beschäftigen, musste er plötzlich zum Beispiel darüber nachgedenken, wie die regenerative Energie in Deutschland dezentral aufgestellt werden kann. Weil er sehr selbstständig arbeiten konnte, ist er dabei schnell in seine alte Arbeitsweise verfallen. „Ich habe viel Zeit investiert, um Fakten zu sammeln, bis ich irgendwann gelernt habe, einen Bleistift und ein Blatt Papier in die Hand zu nehmen und frei zu denken: Was ist eigentlich mein Verständnis von Stromerzeugung?“ , erinnert er sich.

  • Ergebnisse einer Marktbefragung des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU) aus dem Jahr 2014, an der sich rund 700 Unternehmensberatungsfirmen beteiligt haben: 
  • Jeder zehnte Junior-Berater verfügt über einen Hochschulabschluss der Mathematik oder Naturwissenschaften, 15 Prozent können ein Ingenieur-Studium vorweisen. Jeweils drei Prozent steigen mit einem medizinischen oder sprach- bzw. kulturwissenschaftlichen Studienhintergrund in die Unternehmensberatung ein. 
  • Auf der Ebene der Seniorberater liegt der Anteil mit einem Ingenieurstudium mit 23 Prozent deutlich höher als beim Einstieg in die Beraterwelt. Bei den großen Marktteilnehmern über zehn Millionen Euro Jahresumsatz beträgt der Anteil sogar 33 Prozent. Grund hierfür ist, dass für die Aufgabenstellungen in den Beratungsprojekten verstärkt auch berufserfahrene und gleichzeitig technologieorientierte Unternehmensberater benötigt werden.

Die Zeit als Unternehmensberater, so Josef Löffl, habe seine Arbeitsweise bis heute komplett auf den Kopf gestellt. „Die grundlegendste Fähigkeit der Berater ist es, Know-how von einer Branche in die andere zu übertragen und Probleme auf den Kern herunterzubrechen. Es ist nicht schwierig, ein Buch über die römische Armee zu schreiben. Aber versuchen Sie einmal, auf einem Blatt Papier zu erklären, warum das römische Reich untergegangen ist. Das ist eine sehr wertvolle Erfahrung.“ Insgesamt ist Josef Löffl also überzeugt, dass seine Zeit als Berater seinen Erfahrungshorizont an Denkweisen stärker bereichert hat als die Unizeit, in der  von Vertretern einer relativ homogenen Community umgeben war.

Flexibilität, Mobilität und Stressresistenz sind für Oliver Krone die wichtigsten Merkmale, die angehende Unternehmensberater mitbringen müssen. Aber auch Eigeninitiative und Kreativität spielen bei der Lösungsfindung eine wichtige Rolle. Schließlich betont Oliver Krone, dass es in der Beratung immer auch darum geht, anderen etwas beizubringen: „Wer Spaß am Umgang mit Menschen hat und gerne Neuland betritt, der kann hier ein Zuhause finden.“

Josef Löffl betont, dass Unternehmensberater/innen unter einem enormen Druck arbeiten: „Man muss den Anspruch haben, wirklich die bestmögliche Lösung abzuliefern. Man weiß schließlich, dass man viel Geld kostet und muss dafür sorgen, dass der Mehrwert, der durch die Arbeit erzeugt wird, diese Kosten bei Weitem wettmacht“, meint er. Im Gegenzug können Bewerber mit attraktiven Rahmenbedingungen rechnen: Es kann durchaus passieren, dass sie in Vorstellungsgesprächen umworben werden. Das zeigt sich auch am Gehalt. 

Viele nutzen den Beraterjob auch, um erste Berufserfahrungen zu sammeln und sich dann nach wenigen Jahren in andere Richtungen zu orientieren. Josef Löffl etwa verließ die Unternehmensberatung aus familiären Gründen schon nach einem Jahr, war dann in einem mittelständischen Unternehmen in der Baubranche tätig und arbeitet jetzt als Referent an einer Hochschule, wo er den Hochschulentwicklungsprozess betreut. Seine Zeit als Berater möchte er nicht missen, denn er profitiert tagtäglich von seinen Erfahrungen aus dem Consulting.

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