"Die Suche nach dem Traumjob kann gefährlich werden"

Eine Leserin macht sich selbstständig. Sie arbeitet viel, zäh und unermüdlich. Nach sieben Jahren an der Armutsgrenze zieht sie die Reißleine. Ein Erfahrungsbericht.

Trotz eines hervorragenden Magisterabschlusses mit einer glatten Eins hatte ich heftige Probleme beim Berufseinstieg. Nach vielen erfolglosen Bewerbungen, Praktika und kurzen befristeten Anstellungen, für die ich eigentlich überqualifiziert war, beschloss ich, das Problem auf andere Art und Weise zu lösen: Ich wollte freiberuflich arbeiten.

Endlich einmal nicht mehr abhängig sein von der Willkür potentieller Chefs. Endlich nicht mehr warten und hoffen müssen, sondern direkt ins Berufsleben einsteigen. Ich besuchte ein Coaching-Seminar, um meinen optimalen Berufsweg zu finden. Die Essenz dieses Seminars: Du musst beruflich das tun, was dir Freude macht und deinen Fähigkeiten entspricht, dann wirst du so leistungsfähig und kreativ sein, dass sich der Erfolg mehr oder minder von selbst einstellt. Das leuchtete mir ein.

Ich nahm mir viel Zeit, meine Fähigkeiten zu ergründen. Schon recht bald war mir klar: Ich wollte schreiben. Schon während des Studiums hatte ich eine Zeitlang als freie Journalistin bei einer kleinen Lokalzeitung gejobbt, hatte also schon einige Erfahrung. Nun wollte ich freiberufliche Texterin werden. Ich las einige Ratgeber zum Thema Selbstständigkeit, fühlte mich recht gut vorbereitet und beschloss, es einfach mal auszuprobieren.

"Wenn ich erzählte, dass ich als Freiberuflerin arbeitete, erntete ich Bewunderung." 

Zu der Zeit hatte ich einen Halbtagsjob in einem Büro, mit dem ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Diesen Job wollte ich zur Absicherung erst einmal beibehalten und parallel versuchen, mir als Freiberufler eine Existenz aufzubauen. Fünf Jahre, sagten meine Ratgeber, dauere es üblicherweise, bis man als Freiberufler von seiner Arbeit leben könnte. Zu dieser Durststrecke war ich bereit.

Der Einstieg war überraschend leicht. Innerhalb weniger Wochen hatte ich die ersten festen Kunden und Einnahmen in dreistelliger Höhe. Die Honorare waren zwar nicht berauschend, aber besser als befürchtet. Das ermutigte mich. Ich legte eine Excel-Tabelle an, in der ich jeden Monat meine Einkünfte eintrug, und ein Diagramm dazu, das mir die Entwicklung dieser Einkünfte grafisch darstellte. Noch dümpelte die farbige Linie nahe der X-Achse fast waagerecht vor sich hin, aber das sollte sich bald ändern. Ich freute mich schon auf die Zeit, wo sie in die Höhe schnellen würde und ich die bescheidenen Anfänge vergessen könnte.

Dass ich als Freiberufler durchaus auch zu ungewöhnlichen Zeiten arbeiten musste, war mir bewusst. Die Sonntage versuchte ich mir immer freizuhalten, aber sonst arbeitete ich sechs Tage in der Woche, auch an Feiertagen. Das Schreiben machte mir Freude. Ich hatte meinen Traumjob gefunden. Wenn ich im Freundeskreis erzählte, dass ich jetzt freiberuflich als Texterin arbeitete, erntete ich Bewunderung. Das machte mich stolz, und ich fühlte mich als etwas Besonderes.

Nur eines störte mich: Dass neben dem Schreiben die Büroorganisation recht viel Zeit in Anspruch nahm. Da meine Einkünfte noch ziemlich bescheiden waren, konnte ich nicht daran denken, eine Mitarbeiterin einzustellen. So blieb alles an mir hängen: Postbearbeitung, Rechnungsstellung, Ablage, Kommunikation mit den Kunden. Für die Akquise von Neukunden brachte ich viel Zeit auf, noch war sie unbedingt notwendig, aber auch zäh und mühsam.

Es gab da draußen viele Freiberufler, die mit mir um potentielle Kunden buhlten, und für einen Neueinsteiger wie mich war es nicht leicht, auf sich aufmerksam zu machen. Dazu kamen die kleinen Tücken des Alltags: Wenn mein PC streikte, konnte ich nicht einfach, wie bei meinem Bürojob, in der IT-Abteilung anrufen und um Abhilfe bitten. Ich musste mich gefälligst selbst um das Problem kümmern. Klappte der Internetanschluss nicht, kämpfte ich mit dem Kundendienst meines Telefonanbieters. All das war wichtig, kostete Zeit, viel Zeit – und brachte mir keinen Cent ein.

Ich erinnere mich an einen Nachmittag, an dem ich nach einer Unstimmigkeit mit einem wichtigen Kunden viel Zeit damit verbrachte, die Wogen wieder zu glätten. Es gelang, der Kunde blieb mir erhalten. Aber ich hatte wieder einige Stunden verbraucht, die mir niemand bezahlte. Und so ging es immer weiter. Wenn ich meine monatlichen Einkünfte auf die Stunden hochrechnete, die ich faktisch für meine freiberufliche Tätigkeit aufwenden musste, kam ich oft nur auf einen Stundenlohn von um die fünf Euro – brutto.

"Zu Hause fiel mir immer häufiger die Decke auf den Kopf"

Noch schlimmer war der Urlaub. Als ich meinen Kunden einmal einen zweiwöchigen Sommerurlaub ankündigte, blieben schon in der Woche zuvor die Aufträge aus und liefen nach meiner Rückkehr nur zögerlich wieder an. Letztlich bedeuteten die vierzehn Tage Urlaub einen Verdienstausfall von vier Wochen, ein schmerzlicher Einschnitt in meinen sowieso schon mageren Finanzen. Bald leistete ich mir, wenn überhaupt, nur noch 2-3 Tage Urlaub am Stück, weil sie leichter zu überbrücken waren.

Ich arbeitete viel, zäh und unermüdlich – es war schließlich mein Traumjob! Ich hatte immer Aufträge und immer positive Rückmeldungen. Dennoch besserten sich meine Einkünfte über die Jahre kaum. Mein Excel-Diagramm zeigte mir stur die immer gleiche, mehr oder minder waagerechte Linie an, die sich so gar nicht in die Höhe schwingen wollte. In einem Monat war es etwas besser, dafür im nächsten wieder schlechter. Das Problem war immer dasselbe: Die Honorare wurden von den Kunden vorgegeben, es gab zu viele Mitbewerber, die Konkurrenz war hart.

Die Honorare waren nicht schlecht, aber auch nicht hoch genug, um den Zeitaufwand auszugleichen, den ich für die Kundenakquise und das ganze Drumherum betreiben musste. Die einzige finanzielle Konstante in dieser Zeit war der Lohn für meinen Bürojob, mit dem ich immerhin die Miete zahlen und mein Überleben sichern konnte. Dazu kam, dass mir am heimischen Schreibtisch immer häufiger die Decke auf den Kopf fiel – ich vermisste die Kontakte zu Kollegen. Mich in eine Bürogemeinschaft einzumieten, kam aber auch nicht in Frage – zu teuer.

Irgendwann suchte ich mir ein zweites Standbein und bot Kurse in der Erwachsenenbildung an. Doch auch hier war es das gleiche Spiel: Ich hatte keine Probleme, meine Kurse bei den Volkshochschulen anzubringen und Teilnehmer zu finden. Auch die Honorare waren recht gut. Wenn ich aber die gesamte Zeit rechnete, die ich für die Kurse aufbringen musste – mit Vor- und Nachbereitung, Hin- und Rückfahrt – landete ich ganz schnell wieder bei einem Brutto-Stundenlohn von deutlich unter zehn Euro.

"Inzwischen war ich Ende 30, müde und desillusioniert."

Ich hielt die geforderten fünf Jahre durch, und noch weitere zwei Jahre. Inzwischen war ich Ende 30, müde und desillusioniert. Mein Traumjob hatte sich zu einem Alptraum entwickelt. Als eine längere Krankheit meine Leistungsfähigkeit erheblich schwächte und ich mich dennoch, statt mich auszukurieren, jeden Tag an den Schreibtisch schleppte, um die Kunden nicht zu verlieren, kam ich ins Grübeln: Wollte ich für den Rest meines Lebens so weitermachen? Immer im Dienst, immer in Sorge um die Finanzen, um die Zukunft ... war das wirklich mein Traum? Bei all dem oft genug ein Verdienst wie eine ungelernte Kraft – hatte ich dafür studiert?

Es fiel mir schwer, der Realität ins Gesicht zu sehen, aber irgendwann musste ich mir eingestehen: So konnte es nicht weitergehen. Das Schreiben machte mir immer noch Spaß, aber ich verdiente einfach nicht genug, und es gab keine Anzeichen auf Besserung. Ich lebte an der Armutsgrenze und hatte keine Möglichkeiten, eine sinnvolle Altersvorsorge aufzubauen. Ich wollte eigentlich keine Bewerbungen mehr schreiben müssen, aber jetzt befand ich mich mit meiner Kundenakquise in einer permanenten Bewerbungssituation, die oft genug mit einer schmerzlichen Absage endete. Ich wollte die Willkür der Chefs hinter mir lassen und war stattdessen der Willkür der Kunden ausgesetzt, die mich jederzeit fallen lassen konnten, ohne Begründung, ohne Kündigungsschutz.

Es dauerte noch über ein Jahr, bis ich eine Festanstellung fand. Heute arbeite ich in der Verwaltung einer Universität. Dabei geholfen hat mir nicht meine freiberufliche Tätigkeit, sondern die Erfahrungen aus meinem Bürojob. Ja, ich bin immer noch überqualifiziert für meine Stelle, und daran wird sich wohl auch nicht mehr viel ändern. Doch ich verdiene jetzt ein Vielfaches von dem, was mir meine Freiberuflichkeit eingebracht hat.

"Die Jagd nach dem Traumjob kann gefährlich werden, weil sie einen blind macht für die Realität."

Wenn ich heute erzähle, was ich beruflich mache, ernte ich selten Begeisterungsstürme. Aber damit kann ich leben, denn ich mag meine Arbeit. Ich genieße die Kontakte zu den Kollegen und komme mit interessanten Menschen zusammen, die ich als Texterin nie getroffen hätte. Darüber hinaus weiß ich es zu schätzen, dass ich jeden Monat ein festes Gehalt auf dem Konto habe, auch wenn ich mal in Urlaub bin oder ein paar Tage krank. Und wenn das Wochenende kommt, habe ich tatsächlich frei. Ich empfinde all diese Dinge als Privilegien, weil ich weiß, wie sich das Leben anfühlt, wenn man sie nicht hat.

Die These „Suche dir deinen Traumjob, und du wirst mit deiner Arbeit Erfolg haben“, sehe ich heute sehr kritisch. Sicher, Arbeit soll Freude machen und zur eigenen Persönlichkeit passen. Aber falls man nicht gerade einen gutverdienenden Partner hat, der einen unterstützt, muss sie zuallererst den eigenen Lebensunterhalt sichern. Wenn der Traumjob das nicht leistet, ist er auf Dauer nicht viel wert. Die Jagd nach dem Traumjob kann gefährlich werden, weil sie einen blind macht für die Realität. Nach meiner Erfahrung ist man vor lauter Begeisterung oft bereit, sehr viel mehr Zeit, Geld und Kraft zu investieren, als es wirtschaftlich sinnvoll wäre. Am schlimmsten ist der Beinahe-Erfolg, denn er motiviert einen, weiterzumachen: Im Moment habe ich noch nicht genügend Einkünfte, aber ich habe ja Kunden, im nächsten Monat / Quartal / Jahr wird es bestimmt besser! Und so hofft man immer weiter...

Ich weiß, dass ich nicht die einzige bin, die mit diesem Problem zu kämpfen hatte. Ich kenne etliche Geisteswissenschaftler – Autoren, Literaturübersetzer, Philosophen, Journalisten – die sich als Freiberufler nur gerade so über Wasser halten, die ein ganzes Berufsleben lang für einen solchen „Traumjob“ in Armut leben und nicht die Mittel haben, sich eine Altersvorsorge aufzubauen. Meiner Ansicht nach ist es das nicht wert!

Im Rückblick ärgere ich mich über die Jahre, die ich in meine Freiberuflichkeit investiert habe. Ich möchte niemanden davon abhalten, als Geisteswissenschaftler freiberuflich zu arbeiten, aber aus meiner Erfahrung heraus kann ich nur sagen: Es geht bei der Freiberuflichkeit nur ganz wenig um Selbstverwirklichung, es geht hauptsächlich um knallharte Betriebswirtschaft. Wichtig ist nicht, was Spaß macht, wichtig ist, was sich verkauft. Schaut nicht (nur) auf eure eigene Begeisterung, sondern darauf, ob es ausreichend Kunden gibt, die für eure Arbeit genug zu zahlen bereit sind. Wenn das nicht der Fall ist, nützt auch alles Engagement nichts.

Wila ArbeitsmarktDer Text ist im arbeitsmarkt Bildung, Kultur, Sozialwesen erschienen. Die Verfasserin möchte anonym bleiben. Was denken Sie über die Suche nach dem Traumjob? Welche Erfahrungen haben Sie mit der Selbstständigkeit gemacht? Wir freuen uns über Ihre Antwort an redaktion@wila-arbeitsmarkt.de oder auf unserer Facebook-Seite

 

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